Wie sieht es in der Guerilla und in der Gesellschaft Kolumbiens nach dem Tod des Oberkommandierenden Alfonso Cano´s aus? Dieser Artikel soll aus linker Perspektive und anhand von Dokumenten der Guerilla und diverser Internetartikel einen kleinen Überblick geben.
Nach mehr als 30 Jahren des Guerilla-Kampfes wurde nun die Führungsperson der FARC-EP ermordet. Er starb unter freiem Himmel, wie ein Guerilla-Kämpfer, während jene, die befohlen haben ihn zu jagen zur goldenen Elite des Landes gehören und noch nie einen Berg bestiegen oder den Dschungel kennengelernt haben, geschweige denn selber kämpfen oder ihre Kinder in die Schlacht schicken würden. Dieses Ereignis konnte man schon lange voraussehen, denn seit 2008 wurde Alfonso Cano unter unglaublichen militärischen Druck gejagt. Mehr als 6000 Elitesoldaten der Aufstandsbekämpfung belagerten die Provinzen im südlichen Tolima und in Cauca und führten wahllose Bombardierungen in der gesamten Region durch. Und schließlich fassten sie ihn nicht, wie in den letzten Monaten angekündigt in Tolima, sondern in der Region Cauca. Das militärische Verfahren war dabei typisch: Militärischer Sicherheitsdienst (mit maßgeblicher Unterstützung der CIA), Bombardierungen, Landungen mit Hubschraubern und der Befehl ihn zu töten, nicht festzunehmen.
Dieses Verfahren, welches in eklatanter Verletzung zum humanitären Völkerrecht steht, spiegelt in all seinen Komponenten den Plan der kolumbianischen Regierung wieder, einen schmutzigen Krieg gegen die Führungsebene der Guerilla zu führen, um eine doppelte Wirkung zu erreichen: erstens , die Ermutigung zum Überlaufen und zweitens, auf ein Phänomen der ungesteuerten Gewalt und Chaos zu hoffen durch den scheinbaren Verlust der politischen Kontrolle und dem Abbau der militärischen Befehlskette. Letzteres bedeutet, dass das, was der Oligarchie wirklich Sorgen macht, weder die Gewalt ist noch die Sicherheit der Bürger, sondern einzig und allein der Machtverlust, der so um jeden Preis erhalten werden soll.
Der Tod von Alfonso Cano ist ein unbestreitbarer Schlag für die Aufständischer der FARC-EP, weil es die erste Führungsperson ist, die so getötet wurde. Es ist nicht nur ein schwerer Schlag für die Wertschätzung, die die Aufständischen für ihn hegten, sondern auch für seine politische und militärische Tatkraft und Geschicklichkeit, für die er sich unter seinem Kommando verantwortlich zeigte. Im Jahr 2008 berichteten und spekulierten die Medien mit ihrer üblichen Unkenntnis über einen bevorstehenden angeblichen Konflikt innerhalb der FARC-EP zwischen dem „militärischen“ Flügel unter Mono Jojoy und dem „politischen“ Flügel unter Alfonso Cano, der als ein dogmatischer Ideologe ohne nennenswerte militärische Kenntnisse dargestellt wurde. Allerdings erwies sich die Realität als eine andere. Alfonso Cano hatte eine militärische Vision gezeigt, die höher als von Medien und Kennern bewertet wurde. Er begann mit einer strategischen Neuausrichtung der FARC-EP, da diese in den letzten Jahren an Boden verloren hatten. Diese Strategie war nützlich geworden, um sich vom „Plan Colombia“ und seiner Militärattacken zu erholen. Mit einer strategischen Offensive konnte so die Guerilla wieder in weiten Teilen des Landes Fuß fassen, was sie in ihren Schlägen zwischen 2009 und 2011 zeigen konnte. Die Strategieänderung bezog sich auch auf das organisatorisch-militärische, zum Beispiel auf eine Dezentralisierung der Organisation in kleinere und flexible Einheiten. Politisch wurde die Massenarbeit im ganzen Land, auch mit den sozialen Bewegungen verstärkt.
Die FARC-EP mit aktuell mehr dezentralen und flexiblen Strukturen, werden den Schlag gegen ihre Führungspersonen neu kompensieren. Die Struktur ist so aufgebaut, dass sofort neue Personen die Lücken füllen. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Mechanismus schon vorher festgelegt wurde, auch weil Alfonso Cano von seiner bevorstehenden Tötung wusste, so dass der Nachfolger schon wesentlich vorher aus einem engen Kreis heraus gewählt wurde. Heute wissen wir, dass es sich hierbei um Timochenko handelt. [1]
Aber klar ist, dass die Stärke der FARC-EP nicht nur auf den militärischen Part beruht, sondern vor allem von der politischen Linie abhängt. Dies wusste auch Alfonso Cano, der im Widerspruch von den ihm gegenüber in den Medien gezeigten Bild, auf die politischen Strukturen und auf die politische Arbeit baute. So ist es ihm unter anderem gelungen, die Auseinandersetzungen zwischen ELN und FARC-EP in einigen Landesteilen zu beenden. Nicht nur das: auch ein strategisches Bündnis beider Guerillaorganisationen haben die Aufständischen insgesamt gestärkt. Er lernte auch, die Mobilisierung der Bevölkerung zu verbessern, darunter besonders jene, die eine politische Verhandlungslösung im kolumbianischen Konflikt befürworten. Es wurde nach Möglichkeiten gesucht, den politisch-militärischen Aufstand als Teil der politischen Debatte zu betrachten. Themen wie ein humanitäres Abkommen oder den Friedensprozess als wichtige Alternative darzustellen, waren immer an Aktualität und neuen Analysen gemessen, die sich der nationalen und internationalen Realität anpassten. Unter diesen Aspekten erwies sich Alfonso Cano als eine politische und militärische Führungsperson, der die Guerillaorganisation einen wichtigen Schritt nach vorne brachte.
Stirbt nun die von Alfonso Cano geleistete Arbeit? Obwohl die Tötung Alfonso Cano´s sicherlich einige Auswirkungen in den Reihen der Aufständischen haben wird, so jedoch keine herausragenden. Der Abschlussbericht der NGO Corporación Nuevo Arco Iris („Die Neue Realität der FARC“), der im August dieses Jahres veröffentlicht wurde, erkennt an, dass es im Falle eines Todes von Alfonso Cano nicht zu einem Ende des Aufstandes kommen würde, geschweige denn zu einem Zusammenbruch der Organisation. Diese Aussage beruht auf mehrere Gründe: zum einen war Alfonso Cano nicht allein an den Entscheidungen beteiligt, sondern diese waren Teil eines kollektiven Körpers, den Mitgliedern des Sekretariats. Die Auffassung der kolumbianischen Oligarchie war falsch, als sie glaubten, dass die FARC-EP nur eine Organisation ist, die von charismatischen Führern aufrecht erhalten wird. Die Tötung von Mono Jojoy (der mehr Charisma unter den Gueriller@s hatte wie Alfonso Cano) im Jahr 2010 zeigte, dass es keine große Fahnenflucht und Niederlage des militärischen Ostblocks der FARC-EP gab. Zudem hatte der Tod des Gründers der FARC-EP, Manuel Marulanda, nach dessen Tod auch spekuliert wurde, dass die Guerilla zusammen breche, keine Auswirkungen auf die Organisation. Im Gegenteil, in der Organisation fanden Umstrukturierungen statt, die zu einer organisatorische Stärkung führten. Aber weder die Versuche der politischen Isolierung, die durch die politischen Ansichten und Arbeit der FARC-EP abgefangen werden, noch die Neuausrichtung der Angriffe der Armee durch Luftangriffe und Geheimdienstapparat, die von der Guerilla durch die strategische Neuorientierung begegnet werden, werden die aufständischen Strukturen zerschlagen können. Diese haben sich als sehr wirksam erwiesen. [2]
Sagen wir es so, mit dem Tod von Alfonso Cano verliert der Aufstand einen großen Anführer, aber es geht dabei nicht die Daseinsberechtigung des Kampfes und der Organisation verloren. Die von Alfonso Cano geleistete Ausrichtung der Organisation ist Teil eines Gedankens einer kollektiven Struktur, wie sie sich in der Dynamik des Aufstandes trotz der militärischen Offensive des Staates zeigt, in welcher die Guerilla demonstriert, dass sie als eine organische Einheit funktioniert. Während Alfonso als Chef getötet worden ist, sind mehrere andere Führer in der jüngsten Zeit entstanden, die nicht Opfer der vom Staat erhofften Auswirkungen wie Zusammenbruch der Guerilla, Demoralisierung, Desertationen und Bandentum wurden, wie es bei der Tötung von Führern allgemein geschehen könnte. Und es wird auch nicht passieren, weil die Ursachen des Konfliktes noch da sind und der Aufstand seine Verankerung gerade im ländlichen Kolumbien trotz der Vernichtungskampagne und der Verdrängung der Guerilla durch den kolumbianischen Staat beibehalten hat. Der Aufstand in Kolumbien ist Teil jener organischen Aufstände, die nicht auf charismatische Führer basieren. Die Aufstände aufgrund tiefgreifender sozialer und politischer Ursachen, wie jener der FARC-EP, haben es geschafft zu überleben oder teilweise noch stärker zu werden, auch nach dem Tod ihrer Führer. Die zeigt sich in Beispielen wie aktuell bei der PKK nach der Verhaftung von Abdullah Öcalan, oder beim Aufstand der FSLN nach dem Mord an Carlos Fonseca und denen der afrikanischen Freiheitsbewegungen PAIGC oder FRELIMO, nach den Ermordung ihrer jeweiligen Führer Eduardo Mondlane und Amilcar Cabral. Und manchmal kann der Mythos einer Person und dessen Tod eine aufständische Bewegung stärken, die Moral der Kämpferinnen stärken können und so einen Bumerang-Effekt auslösen.
Santos will nur eine Politik für sein Land, und diese Machtsicherung ist auf Blutvergießen aufgebaut, seine Gegner will er nur militärisch vernichten. Er bezeichnet die Aufständischen als Kriminelle und das sich das Verbrechen nicht auszahlen wird, ob gleich sein Land durch Korruption, Geld und Vormachtstellung weniger Familien geprägt ist. Diese Reichtümer wurden durch Mord, Vertreibung, Landraub und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen angehäuft und weiter ausgebaut. Die Medien berichten euphorisch vom wiederholten Ende des Konfliktes und der Guerilla oder zumindest davon, dass sie auf einem guten Weg zum Ende sind. Vor wenigen Wochen beschwerten sie sich noch über eine erstarkte Guerilla und eine demoralisierte Armee, während nun die Guerilla als demoralisiert und stark geschwächt erscheint. Doch dieser Schlag der Armee ist nur ein Pyrrhussieg und wird den Konflikt oder die Moral der Aufständischen nicht beeinflussen.
Aber es wäre nicht richtig zu sagen, dass sich nichts in der Ära nach Cano ändern würde. Der kolumbianische Journalist Alfredo Molano hatte davor gewarnt, dass der militärische Sieg eine politische Niederlage sein kann. So etwas scheint nicht weit hergeholt, weil die Absichten von „Frieden und Dialog“ von Santos, der als Präsident der „Menschenrechte“ und der offen „Verhandlungen“ dargestellt wird, ganz klar andere sind. Nun wird es sehr viel schwieriger werden, um dem Wunsch nach Frieden gerecht zu werden. Denn wie unter anderem die Politik- und Sozialwissenschaftler Medófilo Medina, Pacho Galán und León Valencia zu recht sagen, wer glaubt schon an Frieden, wenn die Führungsperson für eine politische Lösung getötet wird? [3]
Nehmen wir den Fall Irland als Beispiel: der britische Staat war bereit, mit den Aufständischen der IRA zu reden und obwohl die Anführer der Bewegung bekannt waren, wurden sie nicht umgebracht um so den nötigen Raum für die Verhandlungen zu ermöglichen. Dies gilt nicht für Kolumbien, weil der Wunsch nach Frieden und Dialog in der Regierung nicht existiert. Hier passiert einzig und allein die Vernichtung der potentiellen Verhandlungspartner für eine friedliche Lösung. Das heißt, die Befriedung eines Landes ohne politische Transformation des Landes. Das Ergebnis dieser Politik sehen wir in Guatemala oder El Salvador. Und das ist nicht das, was die meisten Menschen in Kolumbien wollen. Einen schmutzigen Krieg jedenfalls, wollen sie nicht.
Die Regierung versteht nicht den organischen, sich ständig reproduzierenden Charakter des Aufstandes, den sie eher als militärischen denn als sozialen betrachtet. Dass er sozialer Natur ist, zeigen die Kämpfe der Studierenden im ganzen Land, die der Ölarbeiter in einigen Regionen, die der Bauern und Landlosen. Die Regierung versucht diese Proteste zu kriminalisieren und mit repressiven und gewaltvollen Mitteln zu bekämpfen und weitet so den schmutzigen Krieg und die paramilitärische Struktur aus. Sie wollen nicht wahrhaben, dass der Kampf nicht auf den Schlachtfeldern, sondern auf dem Land und in den Straßen ausgetragen wird, wo die Massen das System herausfordern und ein emanzipatorisches Projekt und Teilhabe fordern. Trotz mehr als 50% Enthaltungen bei den letzten Kommunalwahlen soll die „Nationale Einheit“, die Partei und Bewegung Santo´s, gestärkt werden und die Opposition beseitigen. Die „Nationale Einheit“ wird so zunehmend isoliert vom realen Leben, in der das Volk keine andere Wahl hat, als zu kämpfen. Santos genehmigte das Freihandelsabkommen, so dass die Massen noch mehr mit dem Hunger zu kämpfen haben. Diese Politik überfährt die einfachen Leute, auf die Proteste wird mit beispielloser Härte reagiert.
So haben in diesen Tagen die großen Campesino-Organisationen des Landes die Expansionspolitik der Hauptstadt als Teil einer gefährlichen Strategie verurteilt, die begleitet durch militärische Interventionen, die Interessen des Kapitals vertreten, Spekulationen und Unproduktivität. Auf der anderen Seite lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Armut und unter anderem in Kolumbien 4,1 Millionen hungernde Menschen. [4]
Mit seinen militärischen Pyrrhussiegen kann Santos seine Welt des Neoliberalismus und Konservatismus nicht aufrechterhalten. Die aktuellen Zeiten sind Zeiten des Kampfes und der Revolution, in der die Massen wieder im Vordergrund stehen. Santos radikalisiert den sozialen und bewaffneten Konflikt und wendet eine militärische Strategie gegen das ganze Volk an, was unter anderem die Ermordung von Cano signalisiert. Aber in dem Maße, wie der Konflikt radikalisiert wird, wird es für die kolumbianische Oligarchie eine Überraschung geben, gerade dann, wenn sie unbesiegbar erscheint und sie es nicht erwarten haben.
Und so äußert auch der neue Oberkommandierende der FARC-EP, dass mit dem Töten von Menschen und dem gezielten Ausschalten von Führungspersonen der Konflikt nicht beseitigt wird. Errichtet sich in einem Kommuniqué an Santos und seine militaristische Art und Weise:
„Die FARC sind Tausende von Revolutionären, die die härtesten Bedingungen aushalten, weil sie stark an ihre Sache glauben. Sie verdienen nicht einen Cent, besitzen kein Material, die Bewegung gibt ihnen alles was sie brauchen. Und die Bewegung sind sie alle. Sie sind eine beeindruckende zeitgeschichtliche Schöpfung, hier in Kolumbien, hier vor unseren Augen. So nicht Santos, so nicht!“ [5]
[1] http://de.indymedia.org/2011/11/320001.shtml
[2] http://www.rebelion.org/docs/132833.pdf
[3] http://www.prensarural.org/spip/spip.php?article6731
[4] http://anncol.info/index.php?option=com_content&view=article&id=623:unidad-y-movilizacion-contra-el-tlc-con-eu-declaracion-de-organizaciones-campesinas-de-colombia&catid=84:africa&Itemid=581
[5] http://anncol.info/index.php?option=com_content&view=article&id=702:timoleon-jimenez-asi-no-es-santos-asi-no-es&catid=72:tv&Itemid=590
Dieses Verfahren, welches in eklatanter Verletzung zum humanitären Völkerrecht steht, spiegelt in all seinen Komponenten den Plan der kolumbianischen Regierung wieder, einen schmutzigen Krieg gegen die Führungsebene der Guerilla zu führen, um eine doppelte Wirkung zu erreichen: erstens , die Ermutigung zum Überlaufen und zweitens, auf ein Phänomen der ungesteuerten Gewalt und Chaos zu hoffen durch den scheinbaren Verlust der politischen Kontrolle und dem Abbau der militärischen Befehlskette. Letzteres bedeutet, dass das, was der Oligarchie wirklich Sorgen macht, weder die Gewalt ist noch die Sicherheit der Bürger, sondern einzig und allein der Machtverlust, der so um jeden Preis erhalten werden soll.
Der Tod von Alfonso Cano ist ein unbestreitbarer Schlag für die Aufständischer der FARC-EP, weil es die erste Führungsperson ist, die so getötet wurde. Es ist nicht nur ein schwerer Schlag für die Wertschätzung, die die Aufständischen für ihn hegten, sondern auch für seine politische und militärische Tatkraft und Geschicklichkeit, für die er sich unter seinem Kommando verantwortlich zeigte. Im Jahr 2008 berichteten und spekulierten die Medien mit ihrer üblichen Unkenntnis über einen bevorstehenden angeblichen Konflikt innerhalb der FARC-EP zwischen dem „militärischen“ Flügel unter Mono Jojoy und dem „politischen“ Flügel unter Alfonso Cano, der als ein dogmatischer Ideologe ohne nennenswerte militärische Kenntnisse dargestellt wurde. Allerdings erwies sich die Realität als eine andere. Alfonso Cano hatte eine militärische Vision gezeigt, die höher als von Medien und Kennern bewertet wurde. Er begann mit einer strategischen Neuausrichtung der FARC-EP, da diese in den letzten Jahren an Boden verloren hatten. Diese Strategie war nützlich geworden, um sich vom „Plan Colombia“ und seiner Militärattacken zu erholen. Mit einer strategischen Offensive konnte so die Guerilla wieder in weiten Teilen des Landes Fuß fassen, was sie in ihren Schlägen zwischen 2009 und 2011 zeigen konnte. Die Strategieänderung bezog sich auch auf das organisatorisch-militärische, zum Beispiel auf eine Dezentralisierung der Organisation in kleinere und flexible Einheiten. Politisch wurde die Massenarbeit im ganzen Land, auch mit den sozialen Bewegungen verstärkt.
Die FARC-EP mit aktuell mehr dezentralen und flexiblen Strukturen, werden den Schlag gegen ihre Führungspersonen neu kompensieren. Die Struktur ist so aufgebaut, dass sofort neue Personen die Lücken füllen. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Mechanismus schon vorher festgelegt wurde, auch weil Alfonso Cano von seiner bevorstehenden Tötung wusste, so dass der Nachfolger schon wesentlich vorher aus einem engen Kreis heraus gewählt wurde. Heute wissen wir, dass es sich hierbei um Timochenko handelt. [1]
Aber klar ist, dass die Stärke der FARC-EP nicht nur auf den militärischen Part beruht, sondern vor allem von der politischen Linie abhängt. Dies wusste auch Alfonso Cano, der im Widerspruch von den ihm gegenüber in den Medien gezeigten Bild, auf die politischen Strukturen und auf die politische Arbeit baute. So ist es ihm unter anderem gelungen, die Auseinandersetzungen zwischen ELN und FARC-EP in einigen Landesteilen zu beenden. Nicht nur das: auch ein strategisches Bündnis beider Guerillaorganisationen haben die Aufständischen insgesamt gestärkt. Er lernte auch, die Mobilisierung der Bevölkerung zu verbessern, darunter besonders jene, die eine politische Verhandlungslösung im kolumbianischen Konflikt befürworten. Es wurde nach Möglichkeiten gesucht, den politisch-militärischen Aufstand als Teil der politischen Debatte zu betrachten. Themen wie ein humanitäres Abkommen oder den Friedensprozess als wichtige Alternative darzustellen, waren immer an Aktualität und neuen Analysen gemessen, die sich der nationalen und internationalen Realität anpassten. Unter diesen Aspekten erwies sich Alfonso Cano als eine politische und militärische Führungsperson, der die Guerillaorganisation einen wichtigen Schritt nach vorne brachte.
Stirbt nun die von Alfonso Cano geleistete Arbeit? Obwohl die Tötung Alfonso Cano´s sicherlich einige Auswirkungen in den Reihen der Aufständischen haben wird, so jedoch keine herausragenden. Der Abschlussbericht der NGO Corporación Nuevo Arco Iris („Die Neue Realität der FARC“), der im August dieses Jahres veröffentlicht wurde, erkennt an, dass es im Falle eines Todes von Alfonso Cano nicht zu einem Ende des Aufstandes kommen würde, geschweige denn zu einem Zusammenbruch der Organisation. Diese Aussage beruht auf mehrere Gründe: zum einen war Alfonso Cano nicht allein an den Entscheidungen beteiligt, sondern diese waren Teil eines kollektiven Körpers, den Mitgliedern des Sekretariats. Die Auffassung der kolumbianischen Oligarchie war falsch, als sie glaubten, dass die FARC-EP nur eine Organisation ist, die von charismatischen Führern aufrecht erhalten wird. Die Tötung von Mono Jojoy (der mehr Charisma unter den Gueriller@s hatte wie Alfonso Cano) im Jahr 2010 zeigte, dass es keine große Fahnenflucht und Niederlage des militärischen Ostblocks der FARC-EP gab. Zudem hatte der Tod des Gründers der FARC-EP, Manuel Marulanda, nach dessen Tod auch spekuliert wurde, dass die Guerilla zusammen breche, keine Auswirkungen auf die Organisation. Im Gegenteil, in der Organisation fanden Umstrukturierungen statt, die zu einer organisatorische Stärkung führten. Aber weder die Versuche der politischen Isolierung, die durch die politischen Ansichten und Arbeit der FARC-EP abgefangen werden, noch die Neuausrichtung der Angriffe der Armee durch Luftangriffe und Geheimdienstapparat, die von der Guerilla durch die strategische Neuorientierung begegnet werden, werden die aufständischen Strukturen zerschlagen können. Diese haben sich als sehr wirksam erwiesen. [2]
Sagen wir es so, mit dem Tod von Alfonso Cano verliert der Aufstand einen großen Anführer, aber es geht dabei nicht die Daseinsberechtigung des Kampfes und der Organisation verloren. Die von Alfonso Cano geleistete Ausrichtung der Organisation ist Teil eines Gedankens einer kollektiven Struktur, wie sie sich in der Dynamik des Aufstandes trotz der militärischen Offensive des Staates zeigt, in welcher die Guerilla demonstriert, dass sie als eine organische Einheit funktioniert. Während Alfonso als Chef getötet worden ist, sind mehrere andere Führer in der jüngsten Zeit entstanden, die nicht Opfer der vom Staat erhofften Auswirkungen wie Zusammenbruch der Guerilla, Demoralisierung, Desertationen und Bandentum wurden, wie es bei der Tötung von Führern allgemein geschehen könnte. Und es wird auch nicht passieren, weil die Ursachen des Konfliktes noch da sind und der Aufstand seine Verankerung gerade im ländlichen Kolumbien trotz der Vernichtungskampagne und der Verdrängung der Guerilla durch den kolumbianischen Staat beibehalten hat. Der Aufstand in Kolumbien ist Teil jener organischen Aufstände, die nicht auf charismatische Führer basieren. Die Aufstände aufgrund tiefgreifender sozialer und politischer Ursachen, wie jener der FARC-EP, haben es geschafft zu überleben oder teilweise noch stärker zu werden, auch nach dem Tod ihrer Führer. Die zeigt sich in Beispielen wie aktuell bei der PKK nach der Verhaftung von Abdullah Öcalan, oder beim Aufstand der FSLN nach dem Mord an Carlos Fonseca und denen der afrikanischen Freiheitsbewegungen PAIGC oder FRELIMO, nach den Ermordung ihrer jeweiligen Führer Eduardo Mondlane und Amilcar Cabral. Und manchmal kann der Mythos einer Person und dessen Tod eine aufständische Bewegung stärken, die Moral der Kämpferinnen stärken können und so einen Bumerang-Effekt auslösen.
Santos will nur eine Politik für sein Land, und diese Machtsicherung ist auf Blutvergießen aufgebaut, seine Gegner will er nur militärisch vernichten. Er bezeichnet die Aufständischen als Kriminelle und das sich das Verbrechen nicht auszahlen wird, ob gleich sein Land durch Korruption, Geld und Vormachtstellung weniger Familien geprägt ist. Diese Reichtümer wurden durch Mord, Vertreibung, Landraub und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen angehäuft und weiter ausgebaut. Die Medien berichten euphorisch vom wiederholten Ende des Konfliktes und der Guerilla oder zumindest davon, dass sie auf einem guten Weg zum Ende sind. Vor wenigen Wochen beschwerten sie sich noch über eine erstarkte Guerilla und eine demoralisierte Armee, während nun die Guerilla als demoralisiert und stark geschwächt erscheint. Doch dieser Schlag der Armee ist nur ein Pyrrhussieg und wird den Konflikt oder die Moral der Aufständischen nicht beeinflussen.
Aber es wäre nicht richtig zu sagen, dass sich nichts in der Ära nach Cano ändern würde. Der kolumbianische Journalist Alfredo Molano hatte davor gewarnt, dass der militärische Sieg eine politische Niederlage sein kann. So etwas scheint nicht weit hergeholt, weil die Absichten von „Frieden und Dialog“ von Santos, der als Präsident der „Menschenrechte“ und der offen „Verhandlungen“ dargestellt wird, ganz klar andere sind. Nun wird es sehr viel schwieriger werden, um dem Wunsch nach Frieden gerecht zu werden. Denn wie unter anderem die Politik- und Sozialwissenschaftler Medófilo Medina, Pacho Galán und León Valencia zu recht sagen, wer glaubt schon an Frieden, wenn die Führungsperson für eine politische Lösung getötet wird? [3]
Nehmen wir den Fall Irland als Beispiel: der britische Staat war bereit, mit den Aufständischen der IRA zu reden und obwohl die Anführer der Bewegung bekannt waren, wurden sie nicht umgebracht um so den nötigen Raum für die Verhandlungen zu ermöglichen. Dies gilt nicht für Kolumbien, weil der Wunsch nach Frieden und Dialog in der Regierung nicht existiert. Hier passiert einzig und allein die Vernichtung der potentiellen Verhandlungspartner für eine friedliche Lösung. Das heißt, die Befriedung eines Landes ohne politische Transformation des Landes. Das Ergebnis dieser Politik sehen wir in Guatemala oder El Salvador. Und das ist nicht das, was die meisten Menschen in Kolumbien wollen. Einen schmutzigen Krieg jedenfalls, wollen sie nicht.
Die Regierung versteht nicht den organischen, sich ständig reproduzierenden Charakter des Aufstandes, den sie eher als militärischen denn als sozialen betrachtet. Dass er sozialer Natur ist, zeigen die Kämpfe der Studierenden im ganzen Land, die der Ölarbeiter in einigen Regionen, die der Bauern und Landlosen. Die Regierung versucht diese Proteste zu kriminalisieren und mit repressiven und gewaltvollen Mitteln zu bekämpfen und weitet so den schmutzigen Krieg und die paramilitärische Struktur aus. Sie wollen nicht wahrhaben, dass der Kampf nicht auf den Schlachtfeldern, sondern auf dem Land und in den Straßen ausgetragen wird, wo die Massen das System herausfordern und ein emanzipatorisches Projekt und Teilhabe fordern. Trotz mehr als 50% Enthaltungen bei den letzten Kommunalwahlen soll die „Nationale Einheit“, die Partei und Bewegung Santo´s, gestärkt werden und die Opposition beseitigen. Die „Nationale Einheit“ wird so zunehmend isoliert vom realen Leben, in der das Volk keine andere Wahl hat, als zu kämpfen. Santos genehmigte das Freihandelsabkommen, so dass die Massen noch mehr mit dem Hunger zu kämpfen haben. Diese Politik überfährt die einfachen Leute, auf die Proteste wird mit beispielloser Härte reagiert.
So haben in diesen Tagen die großen Campesino-Organisationen des Landes die Expansionspolitik der Hauptstadt als Teil einer gefährlichen Strategie verurteilt, die begleitet durch militärische Interventionen, die Interessen des Kapitals vertreten, Spekulationen und Unproduktivität. Auf der anderen Seite lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Armut und unter anderem in Kolumbien 4,1 Millionen hungernde Menschen. [4]
Mit seinen militärischen Pyrrhussiegen kann Santos seine Welt des Neoliberalismus und Konservatismus nicht aufrechterhalten. Die aktuellen Zeiten sind Zeiten des Kampfes und der Revolution, in der die Massen wieder im Vordergrund stehen. Santos radikalisiert den sozialen und bewaffneten Konflikt und wendet eine militärische Strategie gegen das ganze Volk an, was unter anderem die Ermordung von Cano signalisiert. Aber in dem Maße, wie der Konflikt radikalisiert wird, wird es für die kolumbianische Oligarchie eine Überraschung geben, gerade dann, wenn sie unbesiegbar erscheint und sie es nicht erwarten haben.
Und so äußert auch der neue Oberkommandierende der FARC-EP, dass mit dem Töten von Menschen und dem gezielten Ausschalten von Führungspersonen der Konflikt nicht beseitigt wird. Errichtet sich in einem Kommuniqué an Santos und seine militaristische Art und Weise:
„Die FARC sind Tausende von Revolutionären, die die härtesten Bedingungen aushalten, weil sie stark an ihre Sache glauben. Sie verdienen nicht einen Cent, besitzen kein Material, die Bewegung gibt ihnen alles was sie brauchen. Und die Bewegung sind sie alle. Sie sind eine beeindruckende zeitgeschichtliche Schöpfung, hier in Kolumbien, hier vor unseren Augen. So nicht Santos, so nicht!“ [5]
[1] http://de.indymedia.org/2011/11/320001.shtml
[2] http://www.rebelion.org/docs/132833.pdf
[3] http://www.prensarural.org/spip/spip.php?article6731
[4] http://anncol.info/index.php?option=com_content&view=article&id=623:unidad-y-movilizacion-contra-el-tlc-con-eu-declaracion-de-organizaciones-campesinas-de-colombia&catid=84:africa&Itemid=581
[5] http://anncol.info/index.php?option=com_content&view=article&id=702:timoleon-jimenez-asi-no-es-santos-asi-no-es&catid=72:tv&Itemid=590