16 Januar 2013

Scheinheilige Friedensverhandlungen?


Während die Verhandlungen in Havanna wieder begonnen haben, werden in einer aktuellen Erklärung der Friedensdelegation der FARC-EP kritische Töne laut. Zum einen bezieht sich dies auf die Strategie der kolumbianischen Regierung, zu verhandeln während der Krieg gegen die Aufständischen intensiviert. So beschloss der Verteidigungsminister nicht nur neue Militäroperationen, sondern auch den Kauf von Flugzeugen und Drohnen. Zum anderen bezieht sich dies auf die Verhandlungen an sich, denn die Regierung will die Bevölkerung im Friedensprozess außen vor lassen. Doch gerade die Agrarfrage beinhaltet die Teilhabe der Bevölkerung und der politischen und sozialen Bewegungen. „Der Frieden ist in Kolumbien nur mit einer tiefgreifenden Land- und Agrarreform möglich“, heißt es in der Erklärung. Hierzu gab es bereits Punkte der FARC-EP, die sie basierend auf die Vorschläge von verschiedenen Arbeitstreffen, Foren und Hinweisen aus der Bevölkerung zusammenstellte.

Es fehlen nur noch wenige Tage, bis der einseitige Waffenstillstand der FARC-EP zu Ende geht. Während die Guerilla die Waffen schwiegen ließ, nutzte das Militär die Pause zu Angriffen und operativen Aktionen. In den Medien war, zumindest im Dezember, immer wieder von Verletzungen der Waffenruhe seitens der Guerilla die Rede. In der Öffentlichkeit sollte damit versucht werden, die FARC-EP als eine kriminelle und unorganisierte Bande darzustellen. Kein Wort gab es jedoch über die permanenten Angriffe des Militärs und die teilweise notwendige Verteidigung. Doch selbst aus hohen Militärkreisen war zu hören, dass der einseitige Waffenstillstand spürbare Auswirkungen auf die Bevölkerung und den Kriegszustand hatte. Die militärischen Aktionen schrumpften auf einen minimalen Anteil, von offizieller Seite des Militärs gab es Berichte über weniger als zehn Verletzungen des Waffenstillstandes. Einige der Waffenstillstandsverletzungen traten jedoch kurz nach der Veröffentlichung der Waffenpause auf, was auf Kommunikationsprobleme zurückzuführen ist. Des Weiteren betonte die FARC-EP, dass sie sich bei Angriffen natürlich verteidigen werden. Trotz der Militäroffensive ist es daher erstaunlich, wie gut die Aussetzung der offensiven Aktivitäten der FARC-EP funktionierte.

Der Waffenstillstand gilt daher als Signal für den Wunsch der FARC-EP nach Frieden und wie gut die Organisationsstruktur der Guerilla immer noch funktioniert. Auf der einen Seite stellt sich die Guerilla an die Seite der Kolumbianer, denn die Mehrheit des Landes sehnt sich nach Frieden. Auf der anderen Seite betont sie mit dem Waffenstillstand die operative Leistungsfähigkeit, denn eine angeordnete Waffenruhe in einer so großen politisch-militärischen Organisation wie der FARC-EP stellt eine ebenso große Herausforderung dar. Entgegen den Falschmeldungen von Medien und Regierung am Anfang des Waffenstillstandes zeigte die FARC-EP damit ihre Stärke, brachte Impulse in die Friedensverhandlungen ein und konnte somit den Druck auf die Regierung nach einem bilateralen Waffenstillstand und eine Beendigung der Kampfhandlungen erhöhen. Auch wenn die politische Arbeit der FARC-EP während dieser zwei Monate stark ausgebaut werden konnte, so vermochte sie nicht, einen bilateralen Waffenstillstand zu erreichen. Hierfür bedarf es aller Anschein nach mehr Druck aus der Bevölkerung. Es liegt nun an der Regierung, die Weichen für das zukünftige Klima in Kolumbien und in den Friedensverhandlungen zu bestimmen.

Die FARC-EP hat in Kuba erste Vorschläge zum Umsetzen einer Agrarreform eingebracht. In einer Erklärung der Friedensdelegation stellte die aufständische Bewegung 15 Punkte dar, wie eine umfassende Agrarreform aussehen kann. Generell geht es dabei um die Überwindung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktoren, die strukturell verantwortlich sind für die gewalttätigen Aktionen von Militärs und Paramilitärs und die den Aufstand der Guerilla begünstigt. Die Demokratisierung auf dem Land soll ausgebaut werden, die Beziehungen zwischen den ländlichen Gebieten und die Mitbestimmung der verschiedenen Sektoren verbessert und an die Bedingungen der Bevölkerung angepasst werden. Weiter sollen Hunger, Ungleichheit und Armut in den ländlichen Gebieten beseitigt werden, was zu einer Anerkennung der Landbevölkerung und ihrer politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte führen könnte. Die Bereitstellung einer sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur sorge schließlich für ein Leben in Würde. Auch sollen die Beziehungen zwischen Land und Stadt erneuert werden.

Neben diesen politischen und sozialen Aspekten handeln einige Punkte direkt vom Umgang mit dem Land und deren Besitz. So sollen ländliche Flächen dezentralisiert und Großgrundbesitz umverteilt werden, wenn dieser nicht genutzt oder unproduktiv genutzt wird. Der Zugang zu Landflächen, insbesondere für Landlose und für Frauen werde gefördert, außerdem soll der ausländische Besitz von Ländereien eingeschränkt werden. Die volle Entschädigung der Opfer von Vertreibung und Enteignung ist ein weiteres Ziel und für Landbesitzer aus dem kleinen und mittleren Segment bietet man bessere Schutzmöglichkeiten für das Eigentum an. Auch die Anerkennung und den Respekt von Ländereien, in denen Indigene, Afrokolumbianer und andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen leben, bilden einen Punkt zum Vorschlag einer Agrarreform. Weitere Punkte beinhalten den Schutz der Ökosysteme und den ökologischen Landbau, den Schutz der einheimischen Pflanzen und landwirtschaftlichen Produkte, die Unterstützung der lokalen Agrarwirtschaft mittels Investitionen in die Infrastruktur sowie die Änderung der Freihandelsverträge, um die Souveränität und die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen.

Inwieweit die Punkte in die Verhandlungen mit der Regierung einfließen werden, dürfte eine der spannenden Fragen bleiben. So gibt es in Kolumbien eine große und einflussreiche Lobby der Großgrundbesitzer und Verfechter eines neoliberalen Wirtschaftsmodells. Eine Land- und Agrarreform würde konträr zu den Interessen der Regierung und jener Lobby stehen. Auch der Ausschluss der Bevölkerung an den Verhandlungen sorgt für Missstimmung. Während sich die FARC-EP für eine breite Beteiligung der Massen am Friedensprozess einsetzt, will die Regierung möglichst hinter verschlossenen Türen verhandeln. Kein Wunder also, dass es gereizte Stimmungen bezüglich des Friedensprozesses gibt. Immerhin ist die FARC-EP angetreten, reale Veränderungen in Kolumbien zu erreichen und nicht nur über die Demobilisierung der Guerilla zu verhandeln.