Die Region Caquetá war und ist ein Epizentrum der
verschiedenen Militärpläne, die es in der Geschichte Kolumbiens gab und gibt.
Dazu gehören in der jüngsten Vergangenheit der „Plan Colombia“, der „Plan
Consolidación“ und aktuell der Militärplan „Espada de Honor“ (Schwert der
Ehre). Vorrangig dienen diese Pläne zur Bekämpfung der Aufständischen, auch
wenn andere Gründe, wie zum Beispiel die Drogenbekämpfung, vorgeschoben werden.
Für die Bevölkerung und die Guerilla ist es eine Form des Staatsterrorismus,
der gerade verhandelte Frieden ist für sie weit weg.
Caquetá ist eine der letzten entstandenen Departments in
Kolumbien. Erst am 15. Dezember 1981 ist die Region des Amazonastieflandes auf
Grundlage des Gesetzes 78 gegründet worden. Caquetá befindet sich im Süden des
Landes, hat eine Fläche von 88.965 km² und ist damit die größte Provinz.
Innerhalb der Provinz gibt es 16 Gemeindebezirke, in denen Städte oder große
Orte den politischen Mittelpunkt bilden. Florencia mit seinen 160.000
Einwohnern ist nicht nur ein Gemeindebezirk, der 1912 gegründet wurde, sondern
zugleich auch die Hauptstadt der Provinz. Weiter Bezirke sind San Vicente del
Caguán (1950), Belén de los Andaquíes (1950), La Montañita (1955), El Paují
(1967), El Doncello (1967), Puerto Rico (1967), sowie die Gemeindebezirke, die
1985 entstanden sind (Albania, Cartagena del Chairá, Curillo, Milán, Morelia,
San José del Fragua, Solano und Valparaíso). Zuletzt wurde der Gemeindebezirk
Solita im Jahr 1994 gegründet. Insgesamt leben in der Provinz mehr als 420.000
Menschen.
Caquetá gilt als eine der regenreichsten Regionen
Kolumbiens. Die Durchschnittstemperatur beträgt 25 Grad Celsius, wobei die heißen
Monate zwischen Dezember und Februar liegen. Aufgrund der Topografie, die
Region liegt zwischen den Anden mit Höhen bis zu 3000 Metern, dem amazonischen
Tiefland mit maximalen Höhen von 300 bis 900 Metern sowie den Llanos, einem
savannenartigen Flachland, gibt es große Flora und Fauna. Durchflossen wird die
Provinz durch verschiedene große Flüsse, die als Ziel den Amazonas haben. Die
wichtigsten Flüsse sind der Caquetá, der Putumayo, der Vaupés und der Fluss
Caguán. Doch nicht nur das Wasser ist der unermessliche Reichtum der Region, in
Caquetá sind mehr als 2100 Arten von Wirbeltieren bekannt, darunter 150 Arten
von Amphibien, über 1000 Fischarten und mehr als 260 Arten von Säugetieren,
hinzu kommt eine artenreiche Pflanzenwelt mit mehr als 930 Bäumen, 120 Palmen
oder mehr als 50 Lianen.
Die Wirtschaft Caquetás liegt vor allem in der
Landwirtschaft und in der Viehzucht. Auch die Forstwirtschaft, die Fischerei
sowie sonstige kleine Gewerbe und Dienstleistungen bilden das wirtschaftliche
Rückgrat. Lagerstätten von Bodenschätzen sind bisher nicht bekannt. Das
Straßennetz befindet sich vor allem im Westen des Landes und besteht aus
Straßen, die in einem schlechten Zustand oder nicht asphaltiert sind. Der
Zugang zu den sozialen Dienstleitungen ist besonders auf dem Land sehr
schlecht, die Arbeitslosenquote liegt bei rund 25%. Während 1973 noch 69% der
Bevölkerung auf dem Land lebten, waren es im Jahr 1993 nur noch rund 55% und im
Jahr 2004 schließlich nur noch 51%.
Auf den ersten Blick erscheint diese Landflucht etwas
Natürliches in Lateinamerika und Kolumbien zu sein. Doch was diese Zahlen nicht
widerspiegeln, sind die permanente Vertreibung der ländlichen Bevölkerung
aufgrund des bewaffneten Konflikts und der Militäroperationen der staatlichen
Streitkräfte. Die diversen Militärpläne, die eingangs kurz namentlich erwähnt
wurden, haben insbesondere in den letzten 10 Jahren zu einer Flucht in die
Städte wie Florencia und Neiva, aber auch nach Bogotá und Villavicencio
geführt. Einschüchterung, Bedrohungen, gewaltsame Aufgabe des vormals eigenen
Landes, Vertreibung und Morde sind an der Tagesordnung. Die Pläne, die der
Öffentlichkeit als Militärpläne gegen die Aufständischen der FARC-EP, den
Drogenhandel und die Erhöhung der Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte
verkauft werden, richten sich aber hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung.
Oft wird die Zivilbevölkerung als heimliche Unterstützer der Guerilla angesehen
und demzufolge auch so behandelt. Zuletzt war die Region im Mai dieses Jahres
in den Schlagzeilen, als der französische Journalist Langlois, der für einem
Monat Gefangener der FARC-EP war, berichtete, dass große Teile der Bevölkerung
hinter der Guerilla stehen und diese in weiten Teilen eine politische und
soziale Macht ausübt.
Die FARC-EP hat hier in Caquetá eine ihrer großen
sozialen Basen. Besonders im Norden an der Grenze zu Meta, im Westen an der
Grenze zu Huila und im Süden an der Grenze zu Putumayo gibt es großen Zuspruch
aus der Bevölkerung. Seit fast über35 Jahren ist die FARC-EP in der Region
verankert. Ende der 70er Jahre, also noch vor der Neustrukturierung der
Guerilla während der sechsten Konferenz (1978) und siebten Konferenz (1982),
war die FARC-EP mit zwei Fronten in Caquetá vertreten. Die erste Front unter
dem Kommando von „Argemiro“ und die dritte Front in der Region „El Pato“ unter
der Kommando von „Corsario“. Wie stark der Rückhalt auch heute noch für die
Aufständischen ist, verdeutlicht die Summe der verschiedenen Kampffronten. Mit
der 3., 14., 17., 49., 62., 63. Kampffront und der mobilen Kolonne „Teófilo
Forero“ gibt es viele Kampf- und Unterstützungsstrukturen, die sich auf ein
großes Netz von Milizionären verlassen können. Während der
Friedensverhandlungen von 1998 bis 2002 entstand im Norden von Caquetá und im
Süden von Meta die entmilitarisierte Zone mit dem Hauptort San Vicente del
Caguán. Die historisch gewachsene Verbindung der Guerilla mit der Bevölkerung
ist der Regierung immer ein Dorn im Auge gewesen, deswegen wurde die
Militärpräsenz seit dem Plan Colombia deutlich erhöht.
Guerilleros der FARC-EP in San Isidro |
Unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung und der
Zerstörung der Drogen werden die Bauern, aber auch die Wortführer der sozialen
Bewegungen vertrieben. Die Strategie ist es zum einen, der Guerilla die soziale
Basis zu entziehen und zum anderen, den Weg für potentielle Investoren und
Konzerne frei zu machen. Immer wieder kommt es aus der Bevölkerung zu den
Vorwürfen, dass nach den Militäroperationen paramilitärische Gruppen versuchen,
das Vakuum auszufüllen. Diese stehen dabei im Dienst der agrarindustriellen
Konzerne oder der Großgrundbesitzer. Auch wenn die Sprühungen mit Pestiziden
von ganzen Landstrichen zurückgegangen sind, so werden aus dem Norden von
Caquetá immer noch regelmäßige Operationen aus der Luft gemeldet. Hierbei
werden nicht nur vermeintliche Kokapflanzungen, sondern auch alle umliegenden
Felder von Nahrungsmitteln wie Mais, Yucca oder Bananen zerstört. Historischer
Höhepunkt der Militäroperationen war die Zerstörung der Infrastruktur im Zuge
der Rückeroberung der entmilitarisierten Zone nach den gescheiterten
Friedensverhandlungen von Caguán im Jahr 2002, als nicht nur Felder, sondern
auch Straßen und Brücken zerstört wurden. Die einheimische Bevölkerung sah dies
damals als Kollektivstrafe an, doch selbst heute noch werden Personen diskriminiert
und stigmatisiert, wenn sie in Vierteln oder Häusern leben, die einst von der
FARC-EP gebaut wurden.
Die Repression gegen die Zivilbevölkerung ist nicht
weniger geworden. Im Gegenteil, in den zurückliegenden Jahren bildete sich in
der Provinz Caquetá ein „antikommunistische“ Bewegung, welches sich aus der
extremen Rechten zusammensetzt. Unterstützt wird dieser lose Zusammenschluss
von den Regierungsstellen und lokalen Oligarchen. Mit der Schaffung von
paramilitärischen Einheiten oder mit Bedrohungen und Anschlägen auf Wortführer
der Organisationen von Bauern und Indígenas soll ein Klima der Angst geschaffen
werden, welches bis zur Vertreibung oder Ermordung von politischen Engagierten
reicht. Ziel ist es, den Widerstand der sozialen und politischen Bewegungen zu
brechen. Im direkten Zusammenhang kann das Erscheinen einer
„antikommunistischen“ Bewegung mit dem Militärplan „Espada de Honor“ gesehen
werden, der die aufständische Bewegung schwächen soll.
Stützpunkte und Kontrollstellen von Militär und Polizei
werden von der einheimischen Bevölkerung immer als Bedrohung angesehen. Der
Bevölkerung wird verkauft, dass die Sicherheitskräfte zum Schutz der
Bevölkerung in der Region anwesend sind. Doch schnell bekommen sie mit, dass
sie bei gewöhnlichen Problemen wie Raub, Diebstahl oder Übergriffen von
paramilitärischen Einheiten kein Gehör finden. Das Vertrauen der Bevölkerung
ist gering in die Sicherheitskräfte. Stattdessen erleben sie diese bei
Hausdurchsuchungen, Kontrollen und Befehlen, wie zum Beispiel dem Verbot der
Mobilität ohne Genehmigung durch die staatlichen Sicherheitsbehörden. Diese
Schikanen und Repressionen hängen vor allem damit zusammen, dass sich die
Sicherheitskräfte nicht mit der Bevölkerung und ihrer Probleme identifizieren,
sondern sie als potentielle Gegner angesehen und auch so behandelt werden.
Erschwerend hinzukommen Umweltverschmutzungen und illegale Landnahme durch
Militär und Polizei, die per Gesetz aus anderen Regionen Kolumbiens kommen und
nie aus der lokalen Gegend. Von daher haben die staatlichen Sicherheitsorgane
den Charakter einer Besatzungsarmee. Diese Einschränkungen und Probleme dürfen
aber nicht thematisiert werden, weil die Kritiker sonst als Unterstützer der
Guerilla gilt.
Die Macht der staatlichen Sicherheitskräfte ist jedoch
begrenzt. Wer zum Beispiel auf der wichtigen Verbindungsstraße von San Vicente
del Caguán über Florencia nach Süden bis zum Rio Caquetá unterwegs ist, wird an
Brücken und in den meisten Ortschaften Stütz- und Kontrollpunkte von Militär
und Polizei feststellen können. Diese wurden im Zuge des Plan Patriota bei der
Rückeroberung großer Landstriche nach 2004 errichtet. Faktisch besagt der Plan
aber nur die Deutungshoheit über strategisch wichtige Orte und Straßen. Oft
sind einige Kilometer jenseits der Straßen die unsichtbaren Grenzen zwischen
Staatsgebiet und dem kontrollierten Gebieten der FARC-EP. Diese Grenzen werden
selbst von den Soldaten akzeptiert, die nur selten in jene Gebiete vordringen.
Ein ausgeklügeltes System von Milizen sowie die Bevölkerung selbst informieren
außerdem die Guerilleros der FARC-EP über Truppenbewegungen oder Operationen.
Selbst infrastrukturell gut erschlossene Landstriche wie östlich von Florencia
(z. B. Montañita und El Paujil) oder westlich von San Vicente del Caguán
(Puerto Rico) gelten als Hochburgen der Aufständischen, die sich zudem auf die
peripheren Gebiete abseits der strategisch wichtigen Straßen und Orte berufen
können (z. B. Cartagena del Chairá).
Besonders im Zuge der Vorbereitungen zu den
Demonstrationen am 1. Mai oder bei Protesten der Bauern (erinnert sei hier an
die Märsche der Koka-Bauern) und Menschenrechtsgruppen (staatliche Gewalt gegen
soziale und politische Bewegungen) spielt die FARC-EP eine wichtige Rolle in
der Mobilisierung. Besonders in den Dörfern genießen die Guerilleros und
Milizen ein gutes Ansehen aufgrund der politischen Bildung, Erfahrung und
Organisation. Politische Prozesse werden der Bevölkerung erklärt und
anschließend versucht den Konflikt öffentlich zu machen. Wo der Staat nicht präsent
ist oder sein will, da werden die Aufgaben von der Guerilla übernommen.
Korrupte Bürgermeister (häufig im Dienst der Oligarchie) werden von der FARC-EP
bestraft und abgesetzt, Kredite an Bauern verteilt (Bauern bekommen sonst keine
staatliche und finanzielle Unterstützung) und eine Rechtsprechung durchgeführt,
die auf dem System der Schlichtung und
Schiedsverfahren beruht. In ländlichen Gebieten gibt es Sanitätsbrigaden, die
Aufgaben der Gesundheitsfürsorge übernehmen. Es ist daher nicht verwunderlich,
dass die soziale und politische Verankerung der Guerilla in Caquetá immer noch
aktuell ist, wo der Staat nur noch militärisch präsent ist und seine
eigentlichen Pflichten vernachlässigt.