Der
Chocó ist ein Departement in Kolumbien, das durch eine reiches Ökosystem und
wertvolle Bodenschätze, aber auch durch seine Armut und eine permanente humanitäre
Krise auffällt. Aktuell sind zum Beispiel Zehntausende durch akute Regenfälle
und Überschwemmungen betroffen. Doch es regt sich auch Widerstand.
Allgemeines
Das
Departement Chocó liegt im Nordwesten von Kolumbien an der Grenze zu Kolumbien,
ist so groß wie der Staat Dänemark und hat Zugänge sowohl zum Pazifik als auch
zum Atlantik. Mehr als 440.000 Menschen leben hier, davon in Quibdó, der
Hauptstadt des Departements rund 160.000. Der Anteil der Bevölkerung mit
afrikanischer Herkunft beträgt mehr als 80 Prozent und der Anteil der Menschen
mit indigenen Wurzeln liegt bei fast 10 Prozent. Damit unterscheidet sich die
Bevölkerungsstruktur klar von der des übrigen Kolumbiens, wo der Anteil der
ersten Gruppe bei 20 Prozent und die der Indigenen bei offiziell nur 2 Prozent
liegen. Die Spanier brachten im 17. und 18. Jahrhundert viele afrikanische
Sklaven in diese Region, weil hier große Goldfunde vermutet wurden und billige
Arbeitskräfte für die Minen gebraucht wurden. Auch heute noch ist der Bergbau neben
der Land- und Forstwirtschaft die wichtigste wirtschaftliche Einnahmequelle.
Der Chocó wurde erst im Jahr 1947 ein eigenständiges Departement und gilt heute
noch aufgrund der Infrastruktur als eine der vergessenen Regionen des Landes.
Soziales
Studien
der Vereinten Nationen zur Folge leben rund 70 Prozent der Chocoaner in Armut
und rund 40 Prozent sogar in extremer Armut, obwohl fast die Hälfte des
abgebauten Goldes in dem Departement gefördert wird. Die geringen Investitionen
in die Wirtschaft, die fehlende Infrastruktur und der bewaffnete Konflikt
sorgen für weitreichende soziale Probleme wie eine hohe Arbeitslosigkeit und
Kriminalitätsrate. Wie überall in Kolumbien gibt es eine besonders durch die
Regierung und Paramilitärs geschürte Landflucht und die Menschen versuchen sich
in den marginalen Vierteln am Rande der Städte oder in den anderen Regionen des
Landes niederzulassen. Die mangelnden Zukunftsperspektiven bekommen vor allem
die Kinder und Jugendlichen zu spüren, die 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Fehlende Bildungsmöglichkeiten und geringe Zukunftsperspektiven sorgen dafür,
dass viele junge Menschen in das kleinkriminelle Milieu abrutschen oder zu
Handlangern von Drogenhändlern und Paramilitärs werden, deren Präsenz sich in
den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend erhöht hat.
Ölpalme
In
Kolumbien wurde die Ölpalme 1932 erstmals eingeführt, in den 1950er Jahren
begann der großflächige Anbau und die kommerzielle Nutzung und in den letzten
Jahren die stetige Ausdehnung der Plantagen. Aus der Ölpalme können die
höchsten Erträge aus Ölsaaten erreicht werden, es macht den Anbau so lukrativ.
Bekannt ist die Ölpalme aus der Gewinnung von Biodiesel, aber auch in der
Kosmetik- und Chemieindustrie. Während des Plan Colombia, dem Militärplan der
Regierung Kolumbiens unter Hilfe der USA und EU, wurde die Ölpalme als
Alternativpflanze zum Kokaanbau favorisiert. Doch für die Kleinbauern ist die
Ölpalme keine Alternative geworden. Im Chocó gehören die riesigen Anbauflächen
lediglich einer Handvoll Unternehmen. Und die Bauern selbst haben schlichtweg
nicht die Flächen, Gelder und Ausrüstung, um ihren Lebensunterhalt davon
bestreiten zu können. Ganz im Gegenteil, oftmals müssen sie sich den Interessen
der Großgrundbesitzer und Unternehmen unterordnen. Die Bauern werden vertrieben
und auf den illegal erworbenen Flächen schützen nun staatliche oder
paramilitärische Kräfte die Plantagen.
Koka
Koka
wird aufgrund der ökonomischen und geografischen Bedingungen in vielen Regionen
des Landes, so auch im Chocó. Den Bauern bietet sich oftmals keine andere
Möglichkeit des Überlebens, als Koka anzubauen oder sich den Gegebenheiten der
paramilitärischen Gruppen unterzuordnen. So hat der zunehmende Kokaanbau
weitreichende Folgen für die Landbevölkerung. Die Regierung nimmt dies immer
wieder zum Anlass, um Besprühungen aus der Luft durchzuführen. Zum Ziel haben
diese offiziell, die Planzungen zu vernichten, nebenbei soll aber auch die
Bevölkerung eingeschüchtert und vertrieben werden. Mit dem Besprühen des
Pflanzenvernichtungsmittels Roundup werden pro Hektar Kokapflanzungen auch 20
Hektar Regenwald oder Felder zerstört, zudem wird das Trinkwasser verseucht und
Erkrankungen der Haut, Augen und Atemwegsorgane provoziert. Mit den
Freihandelsverträgen wird sich die Situation der Bauern nicht ändern, denn der
Zugang zu den nationalen und internationalen Märkten ist den Bauern
verschlossen und mit den Billigimporten von Agrarprodukten wie Mais und
Getreide aus den Industrieländern können sie nicht konkurrieren. Dabei sind die
Bauern die kleinen Fische im Koka-Geschäft, die dicken Geschäfte werden in
Europa und den USA gemacht.
Megaprojekte
Auch
die Megaprojekte der Regierung sind eine Bedrohung für die Bevölkerung im
Chocó. Unter den Megaprojekten werden sowohl die Erschließung und Ausbeutung
der natürlichen Ressourcen als auch überdimensionale Infrastrukturprojekte
impliziert. Zum einen planen transnationale Konzerne die Förderung von Erdöl
bei den zu vermuteten Vorkommen im Chocó. Auch der Bergbau soll weiter
ausgebaut werden. Zum anderen geistern immer noch Pläne der Regierung rum, zwei
verschiedenen Transporttrassen im Chocó zu bauen. Hierbei geht es um den
Lückenschluss der Panamerikana zwischen Panama und Kolumbien und um einen
trockenen Kanal, der von der Karibik- bis zur Pazifikküste führen soll und dem
Panamakanal Konkurrenz machen soll. Nicht nur, dass durch die Bauvorhaben das
Ökosystem und die Lebensgrundlage der Bauern vernichtet werden wird, die
Landflächen, auf denen die Trassen verlaufen sollen, steigern immens ihren Wert
und Grundstückspreis. Regierung, Konzerne und Paramilitärs wollen sich schon
jetzt diese Flächen sichern und bedrohen und vertreiben die Bevölkerung.
Widerstand
und Tradition
Doch
es gab und gibt auch Widerstand gegen Ausbeutung, Landraub und Vertreibung. Die
Tradition des Widerstandes im Chocó ist alt und beginnt bei den Indigenen im
Kampf gegen die Spanier und hat bereits beim Widerstand der afrikanischen
Sklaven gegen die Spanier einen großen symbolischen Stellenwert errungen. Die
Sklaven, die den Spaniern dienen mussten, flohen und bildeten in den entlegenen
Regionen Wehrdörfer, in denen Indigene und afrikanische Sklaven zusammen lebten
und der spanischen Herrschaft trotzen. Als ein bekanntes Wehrdorf gilt Palenque
del Baudó, welches fast 50 Jahre bestand. Im Sinne dieser Tradition sind heute
auch die verschiedenen Friedensdörfer und Gemeinden der Selbstbestimmung im
Chocó zu sehen. Bäuerliche, afrokolumbianische und indigene Vereinigungen,
Gewerkschaften und Guerillagruppen zeigen verstärkt Menschenrechtsverletzungen
und ihre prekäre Situation auf, stehen dabei aber immer im Fokus von
staatlichen Sicherheitskräften, Staatsanwaltschaft und paramilitärischen
Gruppen, weil sie als politischer Arm der FARC-EP diffamiert werden.
Mit
den Waffen um gehört zu werden
Dass
der Chocó zu den vergessenen Regionen gehört, merken die Menschen in ihrem
alltäglichen Kampf für Gerechtigkeit und ein besseres Leben. Bogotá ist weit
weg und die Stimmen der sozialen und aufständischen Bewegungen werden nur
selten gehört. So bleibt den Chocoanern oftmals nur der Weg durch
außergewöhnliche Aktionen und Vernetzung mit anderen nationalen und
internationalen Bewegungen. Erst im Februar wurde durch die FARC-EP ein
bewaffneter Streik durchgeführt, um auf die humanitäre Krise, den Landraub und
die Plünderung der natürlichen Ressourcen bei der Fischerei, im Bergbau-,
Energie-, und Holzsektor durch ausländisches Kapital sowie um auf ihren
Widerstand gegen die Korruption und den Terror aufmerksam zu machen. Dazu
sollten einige Tage der Transport in das Nachbardepartement Risaralda und das
öffentliche Leben still gelegt werden. Außerdem wurde wiederholt darauf
hingewiesen, dass der Transport von staatlichen Sicherheitskräften in
öffentlichen Verkehrsmitteln nicht geduldet wird und dies ein Verstoß gegen
internationales Menschenrecht ist.
Guerilla
Die
FARC-EP jedoch ist noch gar nicht so lange im Chocó präsent, wie man das
vermuten könnte. Erst Ende der 1980er Jahre wurden die ersten
politisch-militärischen Strukturen geschaffen. Unterstützung bekamen sie aus
dem Osten von der Fünften Kampffront, die in Antioquia und Urabá aktiv ist und
von der lokalen Bevölkerung. Zwischenzeitlich waren im Chocó, der zum Bereich
des militärischen Blocks Iván Ríos (ehemals nordwestlicher Block) der FARC-EP gehört,
mehrere Kampffronten der FARC-EP aktiv, darunter die 34., 47., 51. und die bis
heute in der Region verankerte 57. Kampffront. Mit dem Eindringen von Militärs
und Paramilitärs in den Chocó, mit dem Foltern und Ermorden von AnhängerInnen
und Sympathisanten der Guerilla und ihrer nahestehenden Organisationen und mit
der Verschärfung der sozialen Problematik wird auch die Guerilla nicht die
Waffen niederlegen und so lange kämpfen, bis die Bedingungen und Möglichkeiten
Frieden, Gerechtigkeit und politische Teilhabe erlauben.