Die FARC-EP kehren an den Verhandlungstisch, sagten am
Montag aber, dass sie den einseitigen Vorschlag eines Referendums von Präsident
Juan Manuel Santos nicht akzeptieren werden. Nun wollen sie im Sinne des kolumbianischen
Volkes und des Friedens aber in Havanna weiter verhandeln. Währenddessen will
die Regierung auch mit den Bauern einiger Regionen sprechen, die seit einer
Woche im ganzen Land streiken und protestieren.
Die Delegierten der FARC-EP und der Regierung haben am
Montag wieder die Gespräche nach einer kurzen Pause aufgenommen, die die
aufständische Bewegung am vergangenen Freitag beschlossen hatten, um den
Vorschlag zur Durchführung eines Referendum seitens der Regierung Santos zu diskutieren.
Der Chef der Friedensdelegation der FARC-EP Iván Márquez verlas in Havanna eine
Erklärung an die Medien, um zu bestätigen, dass sie „dem Verhandlungstisch
getreu der Verpflichtung, den Frieden zu suchen“ erhalten bleiben. Dabei kritisierte er den
einseitigen Vorschlag der Regierung.
Santos teilte am Donnerstag mit, dass seine Regierung dem
Kongress einen Gesetzentwurf über ein Referendum vorschlagen würde, um über ein mögliches
Friedensabkommen abstimmen zu können. Das Referendum hätte demnach zusammen mit
den Parlamentswahlen am 9. März oder mit der Präsidentschaftswahl am 25. Mai des
kommenden Jahres durchgeführt werden können. Die FARC-EP sind jedoch der
Auffassung, dass ein Referendum nicht politisch und technisch nicht ausreichend
wäre. Ein Referendum bzw. Volksentscheid dient nur zur Gegenzeichnung eines
bestimmten Themas bzw. einer bestimmten Frage, doch die Agenda der
Friedensgespräche ist weitaus komplexer.
Die umfangreiche Agenda kann nicht auf einzelne Aussage
oder Fragestellung reduziert werden. Und würde man die Aussage bzw.
Fragestellung zu weit ausdehnen, dann würde sie eventuell nicht gelesen oder
verstanden werden. Für die Veränderung einer Gesellschaft und zur Umsetzung
eines dauerhaften Friedens sind weitreichende Transformationen notwendig. So
bekräftigte die aufständische Bewegung ihren Vorschlag, dass eine
verfassunggebende Nationalversammlung die am besten geeignete Möglichkeit wäre,
um ein eventuelles Friedensabkommen und die sechs Punkte der umfassenden Agenda
zu billigen und zu ratifizieren.
Währenddessen verkündete die Regierung
Gesprächsbereitschaft bezüglich der Agrarproteste, die fast das ganze Land
erfasst haben. Mit der Landbevölkerung solidarisieren Gewerkschaften,
Studierende und Berufsbereiche, die nicht unmittelbar mit den Arbeits- und
Lebensbedingungen der Landbevölkerung zu tun haben. Es geht hier vielmehr um
Protest gegen eine verstaubte Politik der Regierung, die die Interessen der
großen Konzerne vertritt, aber ein Großteil der Bevölkerung vernachlässigt.
Gegen das neoliberale Politik- und Wirtschaftssystem gibt es derzeit die
größten Massenmobilisierungen seit Jahren.
Besonders aus den Provinzen Boyacá und Cundinamarca, den
Regionen nahe der Hauptstadt Bogotá, werden zum Teil schwere Zusammenstöße und
Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Sicherheitskräften an
Protestierenden gemeldet. Einhergehend mit den Massenprotesten findet eine
Kriminalisierung der Proteste und Repression gegen die protestierende
Bevölkerung statt. Neben Toten und Verletzen werden immer wieder Streikführer
und Personen aus den politischen und sozialen Bewegungen verhaftet. Doch die
Einschüchterung bleibt ohne Erfolg. Selbst die Medien widmen sich mittlerweile
den Ursachen des Aufstandes der Bevölkerung.
In allen großen Städten des Landes kam es am Sonntag zu
Solidaritätsdemonstrationen mit den Protestierenden. Ging man zuerst davon aus,
dass die Proteste nach geraumer Zeit im Sande verlaufen würden, so zeigt sich
nun, dass mehr als gedacht das neoliberale kapitalistische Modell der letzten
Regierungen in Frage stellen. Mit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens
wird sich die Situation nicht zum Positiven verändern. Während wenige
Viehzüchter und internationale Großkonzerne riesige Flächen an Land besitzen,
fehlt vielen Bauern das nötige Land, um sich und ihren Familien die Existenz zu
sichern. Hinzu kommen die immer schlechter gewordenen Arbeits- und
Lebensbedingungen im Agrarsektor.
In und um Tunja, der Provinzhauptstadt von Boyacá, halten
die Straßenblockaden und Proteste weiter an. Mehr als 200.000 gingen am
Sonntag, davon viele mit lautstarken Utensilien wie Kochtöpfen und Kochlöffeln,
auf die Straße. Boyacá gilt als die wichtigste Agrarregion zur Versorgung der
Hauptstadt Bogotá. Doch auch in den abgelegenen Provinzen wie unter anderem in
Caquetá demonstrierten Zehntausende, so zum Beispiel allein rund 12.000 in der
Provinzhauptstadt Florencia. Die Antwort der Regierung war jedes Mal gleich:
Polizeiknüppel und Tränengas. Vor den Vereinten Nationen wurden die
kolumbianische Regierung und die Sicherheitskräfte aufgefordert, die
Rechtsstaatlichkeit einzuhalten.
Auch das in den scheinbar konservativen Regionen wie in
der Kaffeezone, Nariño oder Boyacá die Proteste einen bisher nicht bekannten
Grad erreicht haben, zeigt, wie groß der Unmut gegenüber der Regierung ist und
wie unzufrieden die Bevölkerung mit der Privatisierung der Wirtschaft und den
fehlenden Investitionen in öffentliche Dienstleitungen wie Bildung, Gesundheit,
Infrastruktur und Wohnungswesen ist. Hierzu fallen die Friedensgespräche der
Regierung mit der FARC-EP in eine Zeit, in der die Regierung die
Mobilisierungsfähigkeit und Akzeptanz der Guerilla in Teilen der Bevölkerung
erkannt hat. Auch wenn die Regierung dies öffentlich immer wieder negiert, der
Einfluss und die Sympathien der Bevölkerung mit der aufständischen Bewegung
scheinen in den letzten Jahren rapide zuzunehmen.
So sind die FARC-EP in bestimmten Regionen ein
wesentlicher Teil der Proteste, auch wenn jede Person nach Außen als Individuum
auftritt. Aber aus den politischen und sozialen Bewegungen ist die
Auseinandersetzung mit dem politischen Programm und Forderungen der Guerilla
nicht mehr wegzudenken. Und was für die Medien und die Regierung Terroristen
oder Milizionäre sind, sind einfache Bauern, Arbeiter oder Studenten, die für
ein neues und gerechtes Kolumbien kämpfen und die Notwendigkeit erkannt haben,
ihr Land zu verändern. Und so lange politische Teilhabe nicht garantiert wird
und Andersdenkende verfolgt und ermordet werden, so lange wird für jene Bauern,
Arbeiter und Studenten die Waffe ein Stück Sicherheit für ihre Forderungen
sein.