Auch in Kolumbien gab und gibt es im Fußball linke
Aktivitäten. Ereignisreich waren die letzten beiden Jahrzehnte, tonangebende
Fangruppen aus den Kurven, den Barras, positionierten sich offen gegen soziale
Missstände, Krieg und Bedrohungen durch Paramilitärs und Staatsmacht. Das Jahr
1999 in der Region Valle del Cauca gilt als exemplarisch, weil kurzzeitig die
Einheit vormals rivalisierender Fangruppen zu einer Politisierung vieler
Menschen führte. Heute gibt es nicht wenige, die sehnsüchtig auf diese Jahre
zurückblicken.
Das Jahr 1999 war eine besondere Zeit für die Provinz
Valle del Cauca im Westen Kolumbiens. Die Bevölkerung erlebte die Ankunft des
Blockes Calima der Vereinten Paramilitärischen Kräfte Kolumbiens (AUC), eine
berüchtigte rechtsextreme und paramilitärische Einheit, in der Region. In
Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie aus der hier stark vertretenen
Zuckerrohrindustrie, der Dritten Division der staatlichen Armee und Hunderten
von Paramilitärs, die aus Urabá und Córdoba hierherkamen, begannen die
Operationen, Vertreibungen, soziale Säuberungen und Massaker in den Dörfern und
Städten.
In den gleichen Jahren erlebte Cali, die Hauptstadt der
Region, eine beeindruckende Welle der Jugendrebellion. Es war die Zeit der
großen Streiks von Arbeitern bei Emcali, die der Rebellionen in den Stadtteilen
und Nachbarschaften und die der Auseinandersetzungen an der Universität Valle
in Cali (Univalle). Es entstanden neue Punkte der Begegnung und Sozialisation
und es wurden generell politische und soziale Themen aufgegriffen. Aber es war
auch die Zeit des Krieges der Farben, ein erbitterter Streit zwischen den
Fußballfangruppen.
In jedem Viertel der Stadt Cali waren die Fahnen mit den zwei verschiedenen Farben des
jeweiligen Temas zu sehen. Die Grünen, Bewunderer der englischen Hooligans und
italienischen Tifosi,in der Mehrzahl Metallfans, aber auch viele Rapper und
Skinheads, vereint in der „Frente Radical“ vom Team Deportivo Cali. Die Roten,
Anhänger der Fanbewegung aus dem Süden des lateinamerikanischen Kontinents,
Punks und Kampferprobte aus den Kämpfen an der Univalle, organisiert in der
nach der spanischen Metallband benannten Organisation „Barón Rojo“, zugehörig
zum Verein América Cali. Die Farbe Grün oder Rot stand für territoriale Kontrolle,
Loyalität und zur Gemeinschaft des jeweiligen Teams, zu dem sie gehörten. Tote
und Verletzte in Hunderten von Schlachten waren die Folge, dazu unzählige
Graffiti-Kämpfe um Mauern und Wände.
Und von einem Moment zum anderen kündigte der
Calima-Block öffentlich die beiden Fangruppen zu einem militärischen Ziel an.
Die „Frente Radical“ und „Barón Rojo“, zwei Massenbewegungen, sollten von den
rechtsextremen Schlägern und Mördern
vernichtet werden. Doch diese Rechnung hatten sie ohne diese jungen
Menschen gemacht. Und plötzlich wurde aus dem Krieg der Farben ein neues
Phänomen, denn nun erkannten die Fans, dass sie, egal welche Farbe und welches
T-Shirt sie trugen, selbst Teil einer Unterdrückung und Bedrohung werden
konnten. Bisher kannten sie dies maximal aus dem Fußballumfeld oder aus dem
Kontext von Erzählungen von den Vertriebenen, die vor dem Terror auf dem Land
in die Stadt flüchteten. Trotz der unterschiedlichen Farben erkannten sie nun,
dass es einen gemeinsamen Feind gab, der ihnen den Krieg erklärt hatte.
Es kam zu einer Einheit, zu gemeinsamen Blöcken auf der
1. Mai-Demonstration, zu Workshops über Menschenrechte, zur Unterstützung
sozialer Kämpfe, die die Stadt überflutet hatten, es erfolgte die
antifaschistische Aktionseinheit und schließlich die Suche nach einer eigenen
Fußballfankultur als ein Spiegelbild der kolumbianischen Gesellschaft.
Die Jahre und die Meisterschaften vergingen. Die Wege
trennten viele der damals Aktiven. Heute sind einige Bürokraten in der Politik,
andere haben führende Positionen im Sport übernommen. Viele haben ein scheinbar
normales Leben, Jobs, Familie, Kinder oder müssen zusehen, wie sie
überleben. Sie sehen den kolumbianischen
Alltag, den bewaffneten und sozialen Konflikt. Aber es gibt auch jene, die den
Spirit von 1999 gefolgt sind und die der Einheit des Kampfes gehen. Einige
beschreiten die Pfade der Guerilla auf dem Land. Andere sind Wortführer
sozialer und politischer Organisationen. Andere übernehmen Aufgaben der Stadtguerilla. Aber alle eint,
dass sie 1999 mit der Überzeugung für eine gemeinsame Sache gekämpft haben und
sie im Fußball, der schönsten Sache der Welt, eine Politisierung für ihr
zukünftiges Leben erfahren haben. Revolutionär und Fußballfan, ja das geht!
Als ein Fußballfan und Revolutionär galt Esteban Ramírez,
Guerillero des westlichen Militärblocks der FARC-EP „Comandante Alfonso Cano“.
Mit 31 Jahren starb er im November 2012 in den Bergen Caucas, nicht weit von
Cali entfernt. Hier in Valle del Cauca, begann er auf den staubigen
Fußballplätzen seine Leidenschaft für den Fußball, die ihn Ende der 1990er
Jahre in Cali auf die Tribünen des Stadions führten. Hier war er Bestandteil
bei der Entwicklung der neuen Fußballfangeneration.
Doch Esteban wurde nicht nur im Fußballstadion
sozialisiert, sondern die rebellische Zeit sorgte für große
Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht und soziale Kämpfe in den Vierteln von
Cali. Auch die Bibliothek der Universität Valle entwickelte sich zum
Schlachtfeld für ihn. Schon früh begann er für die Zeitung „Identidad“ des
Movimiento Bolivariano zu schreiben. Zu Letzt war er aufgrund seiner Poesie und
Schreibfähigkeit sogar für die Hommage des gefallenen Oberkommandierenden
Alfonso Cano zuständig. Irgendwann war die konspirative Arbeit im Stadion, in
der Universität und auf den Straßen in Cali zu gefährlich geworden und er
tauschte das Fußballtrikot gegen ein Camouflage-Hemd der Guerilla ein.