Zur Krise im Friedensprozess ist ein kurzer Bericht zur
aktuellen Situation nach dem Treffen des kolumbianischen Präsidenten mit
Vertretern der venezolanischen Opposition. Venezuela ist eine der wichtigen
Begleiter im Friedensprozess zwischen der kolumbianischen Regierung und der
FARC-EP.
In einem Kommuniqué des Sekretariats des Zentralen
Generalstabes der FARC-EP wird sich besorgt über den aktuellen Zustand der
Friedensgespräche geäußert. Im Besonderen betrifft es die Konfrontation
zwischen den Regierungen von Kolumbien und Venezuela. Nicht nur, dass beide
Nachbarländer sind und die Beziehungen das politische, soziale und
wirtschaftliche Leben vieler Menschen auf beiden Seiten beeinflussen, sondern
Venezuela ist auch ein neutraler Vermittler in den Friedensgesprächen zwischen
der kolumbianischen Regierung und der FARC-EP. Kolumbiens Präsident Santos
hatte sich in der letzten Woche mit dem Führer der Opposition Venezuelas,
Henrique Capriles, getroffen. Dies führte zu einer Krise zwischen den beiden
Ländern. “Besorgt, sehr besorgt”, beginnt das Kommuniqué und schildert in drei
Punkten die Besorgnis.
Die FARC-EP machen darin aufmerksam, welche wichtige
Rolle Venezuela als Vermittler und Begleiter in den Friedensgesprächen führt
und was ein Ausscheiden für Auswirkungen haben könnte. Nun ist durch das
Treffen mit der venezolanischen Opposition die Vertrauensbasis zerstört worden.
Von einer Atmosphäre des Friedens kann nun keine Rede mehr sein. Gleichzeitig
erinnerte die FARC-EP daran, den “historischen Durchbruch” bei den Gesprächen
zum Thema der Agrarfrage zu bewahren und die Augen auf die weiteren Punkte der
Agenda zu legen. Während sich in Kolumbien die Stimmen mehren, die einen
Verhandlungsprozess ohne externe Unterstützung fortsetzen wollen, ist die
FARC-EP nur mit internationaler Unterstützung zu den Friedensgesprächen bereit.
Die Geschichte hat gezeigt, dass eine internationale Begleitung und Beobachtung
von Nöten ist.
In den letzten Jahrzehnten gab es in Kolumbien immer
wieder politische Abkommen und Gespräche des Dialogs zwischen der Regierung und
der Guerilla. In vielen dieser Abkommen verpflichteten sich die in den Prozess
involvierten aufständischen Gruppen sowie die beteiligten Regierungen zu einer
Waffenruhe. Bei den aktuellen Friedensgesprächen wurde dieses Angebot seitens
der FARC-EP für beide Seiten vorgeschlagen, doch die Regierung lehnte das
Angebot ab. Statt dessen werden weiter Menschen getötet und Guerilleros gejagt.
Auch gibt es Bestrebungen in der kolumbianischen Gesellschaft, den
Friedensprozess zu torpedieren. Hierzu gehören die politische Rechte unter
Ex-Präsident Uribe, sowie die wirtschaftlichen Eliten und Großgrundbesitzer.
Häufig gibt es in den Medien die Argumentation, dass die Gespräche zu lange
dauern würden. Lieber früher als später würde man den Prozess abbrechen und den
bewaffneten und sozialen Konflikt militärisch lösen.
Eines der historisch bedeutendsten Abkommen war jenes aus
dem Jahr 1984. Zum einen waren viele aufständische Gruppen am Friedensprozess
beteiligt, zum anderen war die politische Tragweite am Anfang der Verhandlungen
zu jener Zeit von enormem Ausmaß, so folgte unter anderem die Gründung der
linken Partei “Unión Patriótica”. Um die Lehren aus dieser geschichtlichen
Erfahrung zu ziehen, zumal es auch heute viele Kritiker am aktuellen
Friedensprozess gibt, veröffentlichen wir einen Artikel, der in der Resistencia
International (deutschsprachige Ausgabe) Nummer 7 (Mai-August 2002) erschien.
Die Waffenruhe von 1984: Ein Schritt nach vorne, zwei
Schritte zurück
Die politische Ausgangslage
Mit der Verabschiedung des Generalamnestiegesetzes von
1982 und der Abschaffung des Sicherheitsstatuts, das die Regierung Turbay Ayala
(1978-1982) benutzte, um einen offenen Kampf gegen die Volksorganisationen zu
führen, entstanden in Kolumbien günstige Ausgangsbedingungen für einen
Friedensprozess. Zwischen den FARC-EP und der Regierung des Präsidenten
Belisario Betancur (1982-1986) wurden zu Beginn von dessen Amtszeit Gespräche
aufgenommen.
Dieser Prozess erreichte seinen Höhepunkt mit der
Unterzeichnung des Abkommens zum Waffenstillstand, das am 28. März 1984
zustande kam. Die Unterzeichner, FARC-EP und Regierung, verpflichteten sich zu
einer Feuerpause und zur Suche nach einer politischen Lösung des Konflikts.
Dieses Dokument - besser bekannt als “Beschlüsse von Uribe” - wurde von der
staatlichen “Kommission für Frieden und Dialog” und dem Generalstab der FARC-EP
im Beisein der Regierung unterzeichnet.
Im August desselben Jahres unterzeichnete die Regierung
weitere Abkommen über eine Feuerpause mitder politischen und militärischen
Führungen der Gruppen ADO, der ELN und deren Sonderkommandos “Simón Bolivar”
und “Antonio Nariño” sowie der EPL und der M-19. Damit eröffnete sich dem Land
ein neues Waffenstillstandsszenarium.
Die Inhalte
Die Beschlüsse von Uribe enthielten zwei wichtige Teile.
Auf der einen Seite stand die militärische Ordnung, auf der anderen die
politische und soziale Zukunft des Landes. Die militärische Seite dieses
Abkommens hatte die Konsolidierung eines Prozesses zum Ziel, der in die
Unterzeichnung eines umfassenden Friedensvertrages und das Ende des bewaffneten
Konfliktes münden sollte. Mit den politischen und sozialen Vereinbarungen
verpflichtete sich die Regierung, eine Reihe von Reformen auf den Weg zu
bringen, die der Gesamtheit des kolumbianischen Volkes eine Perspektive geben
sollte. Gemeinsames Ziel waren die Herstellung von Bedingungen für einen
demokratischen Staat und die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung.
Genau zwei Monate nach Unterzeichnung des Abkommens, am
28. Mai 1984, ordneten die FARC-EP an allen ihren damals 27 Guerillafronten den
Waffenstillstand an. Gleichzeitig gab der Präsident Betancur als oberster
Befehlshaber der Armee auf Grundlage des Abkommens einen gleichlautenden Befehl
an alle militärischen Autoritäten des Landes. Der Pakt verlangte zu keinem
Zeitpunkt die Waffenabgabe der FARC.
Wenig später wurde der Befehl zur Feuerpause auch von den
anderen Guerillaorganisationen gegeben (M-19, EPL, ADO und den Sonderkommandos
“Antonio Nariño” und “Simón Bolívar” der ELN). Die von den anderen
Organisationen unterzeichneten Abkommen bildeten im Fall der M-19 und der EPL
die Grundlage für einen nationalen Dialog.
Verrat und Nichterfüllung
Das bilaterale Abkommen zur Feuerpause wurde in den
kommenden Monaten wiederholt von den Streitkräften gebrochen. In verschiedenen
Regionen des Landes wurden Guerilleros, die sich im Waffenstillstand befanden,
gefoltert und getötet oder sie “verschwanden”. Eine aktive Rolle dabei spielte
die 20. Brigade unter General Maza Márquez. Von ihm wurden auch Pläne zur
Unterwanderung unserer Bewegung ausgearbeitet, um auf diesem Weg mehrere
Guerillakommandeure zu ermorden. Mit der Entwicklung einhergingen unzählige
Angriffe gegen unsere Fronten in den verschiedenen Teilen des Landes.
Zahlreiche Sprecher und führende Mitglieder der M-19 und
der EPL, wie Carlos Toledo Plata, Osear William Calvo, Iván Marino Ospina,
wurden erschossen; andere überlebten die Attentate und zogen sich in Anbetracht
militärischer Provokationen gegen ihre Camps in die Berge zurück, ohne zunächst
die bewaffneten Aktionen wieder aufzunehmen.
Einige Monate nachdem die Armee 25 Guerilleros in Urabá
(Antioquía) getötet hatte, legten die FARC-EP einen Hinterhalt und siegten über
eine Patrouille des Antiguerillabataillons “Cazadores” (“Jäger”). Die Regierung
in Bogotá und die politische Schicht des Landes hatten zu den Morden an den
Guerilleros geschwiegen - die Verteidigung unserer Bewegung aber verurteilten
sie nun als “Angriff auf den Frieden”.
Die politisch motivierte Passivität der Regierung war
aber weitreichender. Die politischen und sozialen Reformen, die in den Abkommen
mit den aufständischen Gruppierungen festgelegt waren, wurden niemals
verwirklicht. Zu ihnen gehörten unter anderem eine Agrarreform, städtebauliche
und Bildungsreformen sowie weitere soziale Projekte. Einzig Bürgermeisterwahlen
wurden durchgeführt, in einer Art aber, die durchaus den Interessen der
Zweiparteienoligarchie gerecht wurde, weil diese über enorme Mittel verfügte,
den Wahlkampf zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Im Vordergrund stand dabei die Manipulation der Medien.
Ziel war es, in nationalen und internationalen Kampagnen die bewaffneten
Aufständischen zu diffamieren, während die Verbrechen der eigenen Armee
verschwiegen wurden.
Diese Kampagne wird bis heute fortgeführt. Das von
kolumbianischen Medien gezeichnete Bild des bewaffneten Konfliktes ist einfach,
und vieles wird ausgegrenzt. Der Paramilitarismus, der Rückzug ausländischer
Militärberater, die Reduzierung der Militärausgaben, die politische Kontrolle
der bewaffneten Kräfte, das Recht auf Leben, Arbeit, Wohnraum, Gesundheit,
Bildung, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Veränderungen der neoliberalen
Politik, keine innerstaatlichen Auslieferungen, das Aussetzen des
Kolumbienplans, die Einstellung von Feindseligkeiten der Medien gegen die
Organisationen des Volkes - all dies sind Themen, die weiterhin Ursachen des
Konfliktes sind, die jedoch nicht zur Sprache gebracht werden.
Der fehlende politische Willen zum Frieden führte und
führt zwangsweise zur Eskalation des Krieges. Derzeit ist das die Entscheidung
der Regierung von Andrés Pastrana. Wir werden auch trotz all dieser Erfahrungen
weiter zu Verhandlungen bereit sein, sofern sie nur ernsthaft auf Frieden und
die Verteidigung der Interessen der nationalen Mehrheit abzielen.