06 Oktober 2013

Wer wir sind und warum wir kämpf(t)en?


So wie Gaitán in der Mitte des letzten Jahrhunderts getötet wurde, so wurden mehr als 300.000 andere Kolumbianer auch getötet. Viele von ihnen waren einfache Menschen und Bauern. Sie hatten keine andere Wahl, als sich zu schützen und zu bewaffnen: Der bewaffnete Aufstand als Verteidigung ihres Lebens und ihrer Würde. Aus dieser anfänglichen Selbstverteidigung der Bauern wuchs eine politisch-militärische Organisation, damals noch in enger Verbindung zur Kommunistischen Partei, die FARC-EP. In Solidarität wurde vor über zwei Jahren von einigen Leuten das Projekt Kolumbieninfo geboren, um ein andere Sicht auf Guerilla und den bewaffneten Konflikt zu geben. Nun hören wir auf.

In Lateinamerika hört man einen Ruf der Hoffnung. Es ist eine lebende Stimme und es ist die Stimme des Volkes. Diesen Ruf, ja gar ein Weckruf, hört man lauter als je zuvor. Es sind die einfachen Menschen, die unterdrückten Menschen, es sind Indígenas und Bauern, die Afrokolumbianer und alle jene, die über Jahrhunderte bedroht und ihrer Existenz, ihres Landes und ihrer Kultur beraubt wurden. Es ist ein Ruf der als Symbol für Freiheit und Gerechtigkeit gilt. Auch wenn die letzten Seiten des großen Projektes noch nicht geschrieben sind, so sind der wachsende soziale und politische Protest sowie der Kampf und die Gespräche der aufständischen Bewegung mit der Regierung ein großes Projekt für ein neues Kolumbien.

Dieser Ruf wird nie aufhören, das hat die Geschichte gelehrt. Ob im Krieg der Tausend Tage, im Kampf gegen die United Fruit Company in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, im wie oben erwähnten Bürgerkrieg der sogenannten Violencia oder in den Bauernprotesten, die uns bis heute begleiten, es ist ein Kampf der Bauern gegen die Großgrundbesitzer und gegen ihre Repression und Gewalt, die Kolumbien in eine Kolonie verwandeln wollen und das Land ausplündern wollen. Es ist ein gerechter Kampf für ein gerechtes Land. Und einen gerechten Kampf kann man nicht verbieten. Genau so wenig kann man den Kampf gegen ein ganzes Volk gewinnen. So lange Ungerechtigkeit, Armut und Hunger herrschen, so lange wird es auch Widerstand dagegen geben.

Doch nicht nur die Bauern, die gegen gerade mal 3 Prozent der Bevölkerung als besitzende Klasse von mehr als 70 Prozent Land kämpfen, auch die arbeitende Klasse organisiert sich im sozialen und politischen Protest gegen das neoliberale Wirtschaftssystem. Millionen Kolumbianer sind unterbezahlt und haben keinen oder nur geringen Zugang zu den sozialen Dienstleitungen. Mit dem Abschluss der Freihandelsverträge hat sich die Situation noch einmal verschärft. Doch statt den Ruf der Menschen nach würdigen Arbeits- und Lebensbedingungen zu erhören, sieht die Regierung im Land eine kommunistische Bedrohung und entfesselt eine Welle der Gewalt, wie sie die Geschichte schon lange nicht mehr gesehen hat.

Die FARC-EP sind als Folge der Notwendigkeit einer systematischen Gewalt gegen die Kolumbianer vor 50 Jahren entstanden und aufgrund der aktuellen politischen und sozialen Situation haben sie auch heute noch ihre Daseinsberechtigung. Ihr Wesen besteht darin, eine revolutionäre politisch-militärische Organisation zu sein. Sie sind eine kommunistische Partei unter Waffen. Die revolutionäre Situation ist nicht einfach so entstanden, sondern wie oben beschrieben, sind ist die Wirkung auf die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und Rückständigkeit des Landes. Die Entrechteten, Armen und Besitzlosen sind es, die eine revolutionäre Armee aufgebaut haben und unter der Losung von Bolívar für ein Land in Würde, Souveränität, Gerechtigkeit und echte Demokratie kämpfen.

Nach mehr als zwei Jahren beenden wir von Kolumbieninfo unsere Tätigkeit. Angefangen haben wir im Jahr 2011 zu einem Zeitpunkt, als die FARC-EP in den Medien als eine politisch und militärisch abgeschriebene Organisation dargestellt wurde, die stark an Einfluss verloren hätte und militärisch kurz vor dem Ende stehen würde. Tatsächlich war es so, dass es militärisch einige Rückschläge gab. Erinnert sei an das verlustreiche Jahr 2008, in dem einige Führungspersonen ihr Leben ließen, an 2010, als Mono Jojoy bei einem Militärschlag getötet wurde und an 2011, wo nach einer langen Jagd von Polizei, Militär und Geheimdienst Alfonso Cano in den kolumbianischen Bergen umgebracht wurde. Doch jener Alfonso Cano sorgte in den Jahren zuvor für einen Umbau der revolutionären Organisation und wir von Kolumbieninfo wollten über Veränderungen und die reale Situation berichten.

Die politische Massenarbeit wurde verstärkt, die Früchte sehen wir heute bei den politischen und sozialen Protesten im ganzen Land. Die FARC-EP sind nicht nur bei der ländlichen Bevölkerung so stark verankert wie schon lange nicht mehr, sondern auch die Zusammenarbeit mit bzw. die Zugehörigkeit innerhalb der politischen und sozialen Organisationen konnte intensiviert werden. Auch wenn die Agrarproteste, Bildungsstreiks oder andere soziale Kämpfe teilweise nicht primär von den FARC-EP organisiert werden, so verlaufen sie zumindest nicht an ihnen vorbei, sondern einzelne Personen oder Strukturen sind eng damit verflochten. Inwieweit der soziale und politische Kampf der FARC-EP auch ein Kampf des kolumbianischen Volkes ist, zeigt aktuell die Diskussion und Beteiligung bei den Foren zur Agenda der Friedensverhandlungen zwischen Guerilla und Regierung.

Auch militärisch konnten sich die FARC-EP konsolidieren und in einigen Provinzen ihre Rückzugsräume und militärisch-politische Basis ausbauen. Während die Regierung verkündet, dass die FARC-EP kurz vor ihrer Niederlage stehen, zeichnet sich im alltäglichen Leben und bei den Statistiken verschiedenster Stellen ein anderes Bild ab. In den Jahren 2010 und 2011 gab es eine hohe Zahl an Angriffen und Zusammenstößen, sowie eine hohe Zahl an verlustreichen Kämpfen für die staatlichen Sicherheitskräfte. Hier änderte sich die Taktik der FARC-EP von Großangriffen mit Hunderten Kämpfern hin zu Guerillataktik, mit wenigen und mobilen Einheiten dem Gegner nadelstichartig zuzusetzen. Die zahlenmäßig permanent erweiterte, hochgerüstete und technologisch voll ausgestattete kolumbianische Armee konnte die Guerilla nicht besiegen.

Kolumbieninfo begann die Berichterstattung zu einem Zeitpunkt, als in der Öffentlichkeit der Weg zu einem Friedensprozess noch weit entfernt erschien. Doch schon damals machten wir auf die Notwendigkeit von Frieden und sozialer Gerechtigkeit aufmerksam und klärten auf, dass die FARC-EP für den Frieden kämpfen und nicht wie in den Medien dargestellt, nur eine Bande von Terroristen seien. In den deutschen Medien, selbst in scheinbar alternativen Zusammenhängen, wurde selten oder manipulativ über Kolumbien und die aufständische Bewegung berichtet. Mit uns, und dass zeigen uns die Kontakte, Informationen und Zuschriften, wurde das Thema wieder präsenter und objektiver in den Vordergrund geholt.

Ja, Kolumbieninfo ist angetreten, ein parteiisches Organ für den politisch-militärischen Kampf der FARC-EP zu sein. In einer Zeit, in der der Medienkrieg zugunsten der neoliberalen Systeme geführt wird und die kapitalistische Propaganda den politischen Status einer mit dem Volk verbundenen aufständischen Bewegung delegitimiert, bleibt uns keine andere Möglichkeit, als Partei zu ergreifen und eine andere Sicht auf bestimmte Dinge darzulegen. Trotzdem haben wir natürlich auch Dinge kritisiert und nur zu gut wissen wir, wie die Bevölkerung in diesem Bürgerkrieg Leid ertragen muss und des Krieges müde ist. Schlussendlich bleibt, dass es mittlerweile viele Medien gibt, die unabhängiger und kritischer über Kolumbien berichten und die wissen, dass die FARC-EP mitnichten nur eine Bande von Drogenterroristen ist. Hier, so denken wir, konnten wir unseren Bildungsauftrag erfüllen und zu einem Bild beitragen, welches die Guerilla im Kontext der Geschichte und der politischen und sozialen Situation sieht.

Dies liegt natürlich nicht nur an uns, sondern auch an den allgemeinen Voraussetzungen, nachdem die Guerilla in Friedensverhandlungen mit der Regierung getreten ist. Ein Ziel unsererseits war es, mit der Guerilla und ihren nahestehenden Organisationen für eine politische Anerkennung zu kämpfen. Seitdem die FARC-EP auf die Liste der terroristischen Organisationen gesetzt wurden, ist die politische Arbeit gerade im internationalen Kontext schwer geworden, Repression, Cyberangriffe, Reisebeschränkungen und Verhaftungen sind keine Seltenheit. In der Öffentlichkeit Partei für die FARC-EP zu ergreifen ist verboten. Doch mittlerweile ist das Klima nicht nur in Kolumbien, sondern auch hier in Europa ein anderes. Zwar ist die Guerilla in der Linken immer noch Vorurteilen ausgesetzt, doch die Diskussionen der letzten Zeit zeigten durchaus eine Akzeptanz und Verständnis für den bewaffneten Kampf und ihre Ziele. Auch in der allgemeinen Öffentlichkeit und in der Mainstreampresse können wir positive Veränderungen feststellen.

Aus unterschiedlichen Gründen hören wir nun auf. Wir werden uns aus der Solidaritätsarbeit jedoch nicht zurückziehen, sondern hoffen, dass die auf linken und alternativen Nachrichtenportalen die kritische Informationspolitik fortgesetzt wird und es weitere Personen oder Gruppen gibt, die sich solidarisch mit dem Kampf der FARC-EP zeigen und dies auf welche Art auch immer in die Öffentlichkeit tragen. Wir haben damals ein zeitlich befristetes Projekt beschlossen und stehen auch dazu. Auch wenn wir gerade von der anderen Seite des Atlantiks zum Weitermachen ermuntert wurden, so gibt es derzeit genug Gründe, den Beschluss auch umzusetzen.

„Die Freundschaft ist das einzige Band zwischen Waffenbrüdern, Aktivisten und Brüdern im Geiste.“ Simón Bolívar

Für eine interkontinentale bolivarische Bewegung!
Für das Neue Kolumbien!
Wir sind FARC-EP!

05 Oktober 2013

Wie weiter in Catatumbo?


Die Dialoge zwischen den Sprechern der Bauern in Catatumbo und der Regierung begannen langsam einzufrieren, bis sie vor einigen Tagen erst einmal auf Eis gelegt wurden, beendet ist der Dialog damit jedoch nicht. Seitens der Bauern werden Klagen laut, dass Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Außerdem verschwinden immer wieder Personen und Protestierende durch Polizei- und Militäraktionen.  

Vor rund 100 Jahren wurde in der Region Catatumbo, dem Siedlungsgebiet der indigenen Gemeinschaft Barí, das schwarze Gold entdeckt. Mit der Entdeckung des schwarzen Goldes dauerte es auch nicht lang, dass die ersten Siedler auftauchten und sich in dem Gebiet an der Grenze von Kolumbien zu Venezuela niederließen. Doch mit der Ausbeutung des Erdöls und anderer natürlicher Ressourcen begann auch die Tragödie der lokal angestammten Gemeinschaften. Einzige Nutznießer des Erdöls wurde die kolumbianische Oligarchie und die transnationalen Konzerne, während die lokale Bevölkerung, im Widerstand dazu stehend, bedroht, vertrieben und vernichtet wurde.

Die Jahre vergingen und nun wiederholt sich die Geschichte, auch in ihren Hauptdarstellern.  Während die Bevölkerung Widerstand und Rebellion gegen ihr Schicksal leistet, setzt der Staat alles daran, um mit Repression und Unterdrückung den Widerstand zu brechen und die Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. Zur Seite stehen ihr dabei nicht nur die staatlichen Sicherheitsbehörden, sondern auch die Medien. Mit den Medien werden falsche Bilder transportiert, Unwahrheiten berichtet und der soziale Protest delegitimiert.

Doch nicht nur Erdöl gibt es in Catatumbo. Es werden auch Kohle Coltan und Eisenerze abgebaut sowie weitere wichtige Mineralien wie Platin gefunden. Kein Wunder also, dass die geostrategisch wichtige Region das Interesse der Regierung und der transnationalen Konzerne weckt. Für die Bevölkerung führt das Interesse zu tiefgreifenden Veränderungen und Problemen. Der Fluss Catatumbo ist eine der Hauptzuflüsse für den Maracaibo-See und für das Grundwasser der Region enorm wichtig. Doch mit der Wassernutzung für den Bergbau sinken Jahr für Jahr die Wasserstände und nehmen die Verschmutzungen und Vergiftungen, wie durch Glyphosate, stark zu.

Für die einen gibt es Reichtum, für die anderen Armut und Elend. Während die Regierung und die Konzerne Millionen einnehmen, werden in der Region die Bauern vom ihren Land vertrieben und nicht ein Peso in die soziale Infrastruktur investiert. Schulen werden geschlossen, keine Straßen gebaut, Hospitäler haben keine Ärzte und Medikamente und es wird kein Geld für Bildung und Gesundheit ausgegeben. Dies sind die Auswirkungen eines neoliberalen Modells, schnell und viel Geld auf dem Rücken der Bevölkerung und Armen zu machen. Investiert wird nur in Infrastruktur zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, was in den Medien anders verkauft wird, und die Erhöhung der staatlichen Sicherheitskräfte, die nur dem Zweck dienen, die Ausbeutung abzusichern.

Am 28. Mai 1999 begann in einer konzentrierten Aktion von der kolumbianischen Armee, der Polizei, dem Geheimdienst und paramilitärischen Verbänden die Eroberung Catatumbos. Was folgte waren seit dem rund 5000 Tote, 3000 Verschwundene und 20.000 Vertriebene. Mit der logistischen Unterstützung der staatlichen Sicherheitskräfte übernehmen die Paramilitärs die heimliche Macht und Ausplünderung der Region. Mit Blut und Feuer bemächtigten sie sich des Eigentums der Bevölkerung und raubten was sie nur konnten.

Koka ersetzte Mais, Kakao, Bananen, Kaffee, Reis und Bohnen. Die Zahl der in der Viehzucht tätigen Bauern ging schlagartig zurück. Auch Holz verschwand immer mehr aus den Bergen und Tälern. Der funktionstüchtige Staat zog sich vollkommen zurück. Der Protest und Widerstand gegen diese Lebensbedingungen und die Armut wurde mit Terror und Repression beantwortet. Die Antwort des Staates gegen den Protest der Landbevölkerung war immer die gleiche: Keine Schulen, keine Ärzte und kein sozialer Fortschritt, sondern mehr Militärbasen, Polizeistationen und Bomben. Die Drecksarbeit verrichteten die paramilitärischen Einheiten.

Die kolumbianische Regierung zeigt heute, wie gestern, keinen politischen Willen, um die Forderungen der Bevölkerung anzuhören und zu erfüllen. Auch wenn die Gefahr einer weiteren militärischen Zuspitzung droht, so sind die Bauern und die gesamte Bevölkerung nicht bereit, kampflos ihr Leben und das ihrer Region hinzugeben. Wer erinnert sich nicht an den Verlauf der Geschichte und dem Massaker der in der Bananenindustrie arbeitenden Menschen im Jahr 1928, nur um die Interessen der großen Konzerne zu befriedigen?