20 Mai 2013

Wohnungsproblematik in Kolumbien


Derzeit finden zwischen der FARC-EP und der Regierung Friedensgespräche statt, bei der soziale, politische und wirtschaftliche Themen die Agenda bestimmen, die sonst nur ungenügend in der Öffentlichkeit behandelt werden. Nicht nur von der Guerilla, auch von Basisorganisationen werden Probleme vorgetragen und Vorschläge erörtert, die nun einen politischen Rahmen der Bearbeitung gefunden haben. Kolumbien ist nach Brasilien das bevölkerungsreichste Land Südamerikas und von den ca. 46 Millionen EinwohnerInnen leben mehr ca. 74% in Städten oder Ballungsräumen. Allein in Bogotá, mit seinen mehr als 8 Millionen EinwohnerInnen, leben somit mehr als ein Sechstel aller KolumbianerInnen. Doch die Lebens- und Wohnbedingungen in den Städten sind für viele Menschen ein Albtraum, denn adäquater Wohnraum bzw. Unterkünfte fehlen.

Aufgrund des bewaffneten Konflikts, der Menschenrechtsverletzungen und der Armut gibt es eine starke Binnenmigration in die Städte. Mensch geht von ca. 5 Millionen Binnenvertriebenen aus, damit hat Kolumbien einen traurigen zweiten Platz nach dem Sudan inne. Jeden Tag erreichen hunderte neuer Flüchtlinge die Stadt. Ziel dieser Menschen sind zuerst die marginalen Siedlungen in den Randgebieten, speziell im Süden der Stadt wie der Ciudad Bolívar. Im besten Fall kennen sie hier schon Freunde oder Verwandte. In den marginalen Vierteln der Stadt Bogotá leben mehr als ein Drittel aller EinwohnerInnen. Dort bauen sie mit den billigsten und nötigsten Materialien ein Haus oder eine Hütte oder kommen bei Freunden und Verwandten unter. Die Kriminalität in den Vierteln der Ciudad Bolívar ist sehr hoch. Besonders organisierte Banden versuchen die Kontrolle des öffentlichen Raumes untereinander streitig zu machen und den Handel zu kontrollieren. Schwer haben es die Leute, die sich politisch und sozial engagieren, Missstände aufdecken und die Politik oder die alltägliche Gewalt kritisieren und sie in ihrem „Geschäft“ stören.

Nur wenige Häuser besitzen Elektrizität, eine Kanalisation ist nicht vorhanden, so dass das “Schmutzwasser” in Bächen an den Wegen die Hänge herunterfließt. Befestigte Straßen oder Wege gibt es nicht, man kann sich ausmalen, wie es hier zur Regenzeit aussieht, von der Gefährlichkeit der Erdrutsche ganz zu schweigen. Wasser gibt es nur an wenigen Stellen, welches von dort in Kanistern geholt werden muss. Eine organisierte Müllabfuhr existiert nicht. Einige Viertel in der Ciudad Bolívar haben mehr als 40000 Einwohner pro Quadratkilometer (im Vergleich dazu Tokyo mit weniger als 20000 und New York mit weniger als 10000), was noch einmal das beengte Zusammenleben und das Potential von sozialen Konflikten verdeutlicht. Die informelle Arbeit ist hier sehr hoch, nur jede fünfte Person hat eine geregelte Arbeit. Die Verwaltung bzw. der Staat ist hier kaum präsent, so dass Paramilitärs oder kriminelle Banden in diese Rolle schlüpfen. Die letzten Jahre sind zwar ruhiger geworden, aber noch vor wenigen Jahren war das Thema der “falsos positivos” allgegenwärtig. Als “falsos positivos” werden einfache (meist ärmliche) Personen bezeichnet, die von Paramilitärs oder Armee unter dem Vorwand der Guerilla anzugehören getötet werden, um anschließend eine Prämie zu kassieren.

Obwohl Bogotá in einigen weltweiten Studien als eine lebenswerte Stadt bezeichnet wird, so schneidet die Hauptstadt in einer Landesstudie mit 19% unter dem kolumbianischen Landesdurchschnitt gar nicht so gut ab. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass das Wachstum der Stadt sehr schnell ist, sich die marginalen Siedlungen rasch ausbreiten und einige Studien diese Zonen einfach ausklammern. In Kolumbien haben rund 3,8 Millionen Menschen keinen Wohnraum. Sie leben auf der Straße, in Abrisshäusern oder bilden Gemeinschaften in ruhigen Ecken, um sich gegenseitig das Überleben zu sichern. Und diejenigen, die Wohnraum haben, müssen teilweise mit unzureichenden Bedingungen leben. 31% teilen sich die Wohnung mit anderen Personen oder Familien. 15% haben keinen Zugang zu sanitären Dienstleistungen (Toilette). 11% haben keine Möglichkeit zu kochen und 10% haben keine Möglichkeit sich zu waschen. Die Gründe für das Fehlen an Wohnraum hängen mit der Gewalt, den Vertreibungen und der Landflucht, aber auch mit den Preisen für Baustoffe und den Schwierigkeiten der Kreditvergabe zusammen. Viele Leute haben einfach keine Mittel, sich ein Haus oder eine Hütte bauen zu können.
Häufig ist es so, dass finanzstarke Konzerne das Land aufkaufen, um damit Handel treiben zu können. Gerade in einer schnell wachsenden Stadt wie Bogotá kann sehr viel Profit damit erzielt werden. Aber auch die Preise für die Baustoffe sind hoch. Wie im Immobilienhandel, findet auch hier eine Monopolisation statt, so dass die Preise hoch und kaum noch kontrollierbar sind. Preisabsprachen unter den großen Konzernen und Händlern tun ihr übriges. Was folgt sind sogenannte Elendsviertel und Behausungen aus einfachen Mitteln wie Pappe, Holz und Blech, mit der Hoffnung, im Laufe der Zeit den Standard erhöhen zu können. Generell gilt, je weiter das Haus oder die Behausung vom Zentrum entfernt ist, desto weniger Zugang zu Dienstleistungen oder Standards, wie Strom, Wasser, Kanalisation, Ärzten, Schulen usw. gibt es.

Besetzungen von Land und das Errichten von “illegalen” Hütten oder Häusern gehören zum Alltag. Seit Jahren gibt es diese Form der “Städtepiraterie”, wo aus anfänglich mehreren Hütten auf freien Flächen später ganze Viertel und Stadtteile entstehen. Im besten Fall entwickeln sich in diesen Vierteln Organisationen der Interessenvertretung, die mit den Landeigentümern und den Verwaltungen der Städte über die Verbesserung der Lebensbedingungen verhandeln. So soll der Statuts der BewohnerInnen und der Status des Grund und Bodens legalisiert werden. Diese politische Betätigung ist aber nicht ganz ungefährlich. In Kolumbien eine kritische Meinung zu haben und sich mit dem Korruptionsfilz der Verwaltung und Parteien anzulegen kann den Tod bedeuten. Nach und nach versuchen schließlich die Städte diese Viertel in die Städtebauplanung und –entwicklung miteinzubeziehen. Aber die finanziellen Mittel, die politischen Zuständigkeiten und der Wille sind sehr begrenzt. So sind es einzelne Erfolge, wenn soziale Räume wie Grünanlagen, Schulen und Ärztehäuser entstehen oder der Zugang zu den notwendigen Standards wie Strom und Wasser geschaffen werden. Bleibt zu hoffen, dass mit den Friedensgesprächen und den sozialen Foren die sozialen Probleme wie die der Wohnungsnot, ein offenes Gehör bei den Verantwortlichen finden.